Fernwanderer Training in Sankt Antönien – hinter dem Mond links

Sankt Antönien – der Geheimtipp hinter dem Mond links.
Nachdem wir unsere grosse Alpenüberquerung theoretisch zuhause vorbereitet, alle Utensilien beisammen und die Rucksäcke probehalber gepackt hatten, ging es an den praktischen Teil der Fernwandervorbereitung. Training mit den 11kg und 15 kg schweren Rucksäcken im alpinen Gelände. Eine unserer Vorbereitungstouren für unser grosses Alpenabenteuer, von München nach Venedig zu Fuss, führte uns in einen unserer Lieblingsorte in Graubünden. Nach Sankt Antönien im Prättigau, wohin wir schon oft für ein Wochenende oder ein paar Tage mit unserem Reisemobil gefahren sind, um Energie zu tanken, die Natur zu geniessen und die Seele baumeln zu lassen.
Nicht umsonst wirbt Sankt Antönien mit dem Slogan „hinter dem Mond links“. Hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein, und bei Vollmond ist man ihm tatsächlich sehr nah.
Dieses Mal ging es uns jedoch nicht nur ums Ausruhen und Herumspazieren. Dieses Mal wollten wir in den Hügeln und Bergen um Sankt Antönien trainieren. Lange, mehrstündige Tageswanderungen mit gefüllten, grossen Rucksäcken und steile Steigungen standen auf dem Plan. Deshalb hatten wir unsere voll gepackten Fernwanderer Rucksäcke mit an Bord und den neuen, kleinen Wanderrucksack mit Hundegeschirr für unseren Vierbeiner. Auch Monet sollte die Gelegenheit bekommen, seine Ausrüstung zu testen. Und wir wollten wissen, ob das neue Hundegeschirr ihm genügend Bewegungsfreiraum lässt und keine Scheuerstellen verursacht.
Ende Mai machten wir uns also einmal mehr mit unserem Reisemobil auf den Weg zu unserem Rucksacktraining in Sankt Antönien. Das Mobil, unsere kleine Wohnung auf Rädern, können wir stets auf dem grossen Parkplatz mitten im Ort gegen eine ganztägige Parkgebühr abstellen.
Sehr zentral und sehr praktisch, denn der Platz liegt inmitten verschiedener Restaurants, einem Volg Supermarkt und der wunderbaren Natur, die den Ort umgibt. Und unser absolutes Lieblings-Highlight, es gibt direkt neben dem Parkplatz einen Bauernhof mit glücklichen Hühnern und Enten, wo man in einem Selbstbedienungs-Kühlschrank am Haus die besten Bio-Frühstückseier kaufen kann, und quasi jede gefiederte Erzeugerin persönlich auf der Wiese nebenan kennenlernt. Wir mögen diesen liebenswerten Ort mit seinen freundlichen Menschen wirklich sehr, wo man sich gegenseitig einen »hübschen Tag wünscht«. Für Familien mit Kindern gibt es hier einen wunderschönen Natur-Spielplatz mit viel Holz und schön angelegten Grill-Feuerstellen.
Als wir unseren Seelenort also Ende Mai erreicht hatten, waren die umliegenden hohen Gipfel noch schneebedeckt, während auf den Wiesen und Weiden bereits die ersten Frühjahrsblumen der Alpen um die Wette blühten. Erst einmal ankommen, das glücklich gackernde Geflügel begrüssen, die ebenso glücklichen Eier kaufen und einen ruhigen Abend verbringen, bevor es morgen aufi auf’n Berg gehen sollte.
Niemand hat gesagt, dass es einfach wird.
Unsere Füsse dünn mit der stinkenden, angeblichen Wunder-Hirschtalgsalbe eingeschmiert, das komplette Wander Outfit angelegt und die schweren Rucksäcke geschultert, sahen wir unserem Trainingstag erwartungsvoll entgegen, während der Ort an diesem Samstagmorgen noch zu schlafen schien. Von einem wolkenlosen Himmel wärmten uns angenehme Sonnenstrahlen, als wir unseren Standort am Dorfplatz verliessen, um zunächst vom Dorf in Richtung Michelshof hinauf zu wandern. Dort hielten wir uns rechts und folgten ein Stück dem Höhenweg in Richtung Osten, grobe Richtung zum Partnunsee. Keine Menschenseele begegnete uns, die Wandersaison hier oben hatte nach einem langen Winter und einem feuchten Frühjahr noch nicht begonnen.
Ende Mai war der Winter gerade mal knapp dem Frühjahr gewichen, so dass überall in schattigen Senken und Mulden noch Restschneefelder lagen zur grossen Freude von Herrn Monet. Allerdings stellte unser Vierbeiner hier schon das erste „Problem“ mit seinem tollen, roten Rucksack fest: sich im Schnee zu wälzen, ging mit den beiden seitlichen Packtaschen gar nicht mehr so gut. Wie ein Marienkäfer auf dem Rücken strampelte er auf dem sulzigen Schneematsch hin und her, was nach einem ersten verdutzten Moment seiner Freude jedoch nicht allzu viel Abbruch tat.
Unser Rudelführer, Robert, wich plötzlich vom sanft ansteigenden Fussweg ab und stieg zügig querfeldein den steilen Hang zu unserer Linken hinauf, gefolgt von unserem Hund, der ihm mühelos folgte. »Wir wollen ja schliesslich Hochgebirgs-Touren mit steilen Anstiegen üben«. Die Almwiese war vom tagelangen Regen in den Wochen zuvor und vom Schmelzwasser des Winters durchweicht. Entsprechend anstrengend und mühevoll war der gefühlt senkrechte Anstieg auf diesem nassen, rutschigen und glitschigen Untergrund. Ich hatte das Gefühl, zwei Schritte hinauf zu gehen und wieder einen hinunter zu rutschen. Der 11 kg schwere Rucksack auf meinem Rücken war dabei nicht gerade hilfreich, schien er mich doch zusätzlich nach hinten und unten zu ziehen mit seinem enormen Gewicht.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der meine beiden Jungs vor mir am Hang immer kleiner geworden und unser Abstand immer grösser geworden waren, blieb ich schliesslich an einer Felskante stehen. Japsend, schwitzend und motzend. Ich konnte nicht mehr und der steinige Absatz, der mich von den beiden Herren über mir trennte, schien unüberwindlich in meinem Zustand. »Zu hoch und zu steil! Das kann ich nicht« rief ich hinauf. Die helfende Hand meines Mannes von oben und ein motivierendes »Du schaffst das schon«, überzeugten mich schliesslich doch vom Gegenteil. Ein letzter grosser Schritt nach oben und wir fanden uns auf einer Hochalm wieder, von wo uns der Ausblick den Atem raubte. Ganz unten, winzig klein wie eine Modelleisenbahn Landschaft, der kleine Bergort Sankt Antönien und das sanft ansteigende Tal. Um uns herum saftige, blühende Almwiesen, auf denen die ersten Kühe und Ziegen die Frühlingsluft atmen und an frischen Alpenkräutern knabbern durften, begleitet von einem leisen Glockenkonzert. Die stattlichen, schneebedeckten Gipfel der Prättigauer Alpen bildeten eine imposante Kulisse drumherum. Majestätisch und lieblich zugleich.
Keine Schweizer Schokoladenwerbung könnte kitschig schöner sein und das Heidi würde neidisch werden. So schön ist es hier.
Vor dem Saisonstart – die Alpentiere sind noch unter sich.
Nach unserer ersten kleinen Verschnaufpause mit sensationeller Aussicht setzten wir unseren Weg nach oben fort. Robert und Monet voran, ich hinterher. Ein grosses Altschneefeld in einer kleinen Senke säumte den Weg zu meiner Rechten. Ich traute meinen Augen nicht. Mitten im Schnee lagen zur Mittagszeit mindestens zehn grosse Hirsche und Hirschkühe, dicht aneinander gekuschelt in der Sonne und hielten Siesta. Nur ein paar besonders stolze Geweihträger blickten träge und gelassen in die Landschaft. Ein traumhaftes, friedliches Bild, das mich völlig verzauberte. Ich blieb stehen und staunte.
Meine beiden Begleiter waren einfach an diesem Naturschauspiel vorbei gewandert, ohne es zu bemerken.
Spricht nicht gerade für die Spürnase unseres Hundes, hat aber den Vorteil, dass er in den Alpen keine Tiere jagt. Nach einer Weile sah sich Robert nach mir um, und ich versuchte, ihm möglichst vorsichtig und ohne Lärm begreiflich zu machen, was ich da dicht neben mir Besonderes sah. »Was hast Du gesagt?«, rief er mir von vorne zu, worauf Monet freudig in meine Richtung rannte. Sofort war der Zauber des Moments verflogen. Die Hirsche wurden auf uns aufmerksam und flohen in Richtung Wald. Keine Zeit mehr für ein Foto, aber das eindrucksvolle Bild der Hirschfamilie im Schnee hat sich für immer in meine persönliche Festplatte eingebrannt. Und man muss ja nicht immer für alles einen Beweis erbringen, oder? 😉
Trockenfutter für Hund und Frauchen.
Nach einer weiteren halben Stunde, in der wir immer weiter nach oben gestiegen waren und inzwischen die frühlingshafte Schneegrenze in felsiger Umgebung erreicht hatten, hielten auch wir eine Mittagsrast im sonnendurchfluteten Schnee für angebracht. Eine kleine Felsgruppe diente uns als Sitzplatz mit kleinem Tisch, wo Robert seinen neuen, kleinen Camping Gaskocher aufbaute, um unser erstes gefriergetrocknetes Trekking Food mit heissem Wasser zuzubereiten. Für unsere lange Fernwanderung im Sommer hatten wir bereits mehrere verschiedene Trekking Food Menüs eingekauft. Hier oben in der einsamen Berglandschaft des Prättigau sollte die kulinarische Premiere stattfinden: »Hähnchen-Reis-Curry« stand auf dem Speiseplan. Während ich für Monet seine beiden faltbaren Reisenäpfe und ein bisschen Trockenfutter aus seinem Rucksack holte und für ihn den »Tisch deckte«, kochte Robert das Wasser, übergoss damit unser Trockenfutter in der Aluminiumverpackung und liess unser Mahl für ca. 15 Minuten ziehen. Gespannt und zugegebenermassen ein wenig skeptisch beobachtete ich diese Feldküche, während ich aus unserem Trinkbeutel ein bisschen Wasser für Herrn Monet in seinen Napf füllte. »Essen ist fertig«, rief mein Outdoor Koch schliesslich. Mit unseren am Stiel ausziehbaren Campinglöffeln angelten wir uns schliesslich neugierig die ersten Bissen des Curryhühnchens aus dem dampfenden Beutel. »Gar nicht so schlecht!« Es schmeckte überraschend gut, wohl ein wenig salzig, aber der schwitzende Wanderer braucht ja schliesslich auch viel Salz. Unser Appetit in der herrlich frischen Bergluft tat das Seine dazu, dass wir genüsslich einen Löffel nach dem anderen aus der Packung in unsere hungrigen Münder schoben.
Noch immer waren wir mutterseelenallein in dieser phantastischen, stillen Landschaft, die gerade erst aus dem Winterschlaf zu erwachen schien. Die Sonne wärmte die Felsen, auf denen wir sassen und unsere Gemüter. Ewig hätten wir hier sitzen können und dem sanften Wind lauschen, in dem sich hoch am Himmel die Bergdohlen treiben liessen.
Robert hatte an alles gedacht: sogar Instantkaffee und Teebeutel gehörten zu seiner Outdoor Küchenausrüstung. Nach einem warmen Alpenkräutertee und einem Becher Kaffee machten wir uns wieder auf den Weg in Richtung Carschinahütte. Gut, dass wir unsere wasserabweisenden Trekkinghosen angezogen hatten, denn nun stapften wir durch hohen, weichen Schnee, in dem wir teils bis zu den Knien einsanken. Monet kam hier voll auf seine Kosten und sprang durch das kalte Weiss, sein Hunderucksack störte ihn dabei überhaupt nicht, wurde allerdings aussen ein wenig nass.
Auch Murmeltier Mädchen sind manchmal eitel.
Als wir auf dem Abwärtsweg eine kleine Kuppe erreichten, stoppten Robert und Monet abrupt und guckten gebannt nach vorne. Langsam drehte sich Robert zu mir um und gab den Blick frei auf ein stattliches Murmeltier, das keine drei Meter vor uns hinter der Kuppe aufstand und uns ebenfalls interessiert und regungslos anstarrte. Die längste Zeit.
Vermutlich waren wir in diesem Frühjahr die ersten Wanderer, die es nach seinem Winterschlaf erblickte. Entsprechend arglos fragte es sich vermutlich: »Wer sind die denn?« Selbst unser Hund war derart verblüfft, dass er ganz still dastand und stirnrunzelnd das Fellwesen betrachtete, das ihn seinerseits mit braunen, glänzenden Äuglein fixierte. »Fotoapparat«, flüsterte Robert mir ganz leise zu. Jedoch nicht leise genug, denn im selben Moment tauchte das Murmel wieder hinter der Kuppe ab. Weg war es, bis ich meine kleine Kompaktkamera vorsichtig aus meiner Rucksacktasche gezogen hatte. »Schade, die zweite verpasste Chance des heutigen Tages « dachte ich, als das Murmeltier Mädchen plötzlich wieder keck in voller Grösse hinter seinem Hügelchen auftauchte und fotogen in unsere Richtung blickte. Denn dass es sich um ein Weibchen handeln musste, war mir nun ganz klar. Erstens hatte ihre unglaubliche Neugier ihr keine Ruhe gelassen und zweitens war sie vermutlich beim Wort „Fotoapparat“ nur kurz in ihren Bau abgetaucht, um die Frisur im Spiegel zu kontrollieren und den Lidstrich nachzuziehen. Derart aufgehübscht posierte sie nun professionell wie ein Fotomodel und gar nicht scheu für unsere Kamera und verewigte sich so für die Nachwelt. Wenn es eine Murmel-Vogue gäbe, sie hätte es auf den Titel geschafft.
Nach diesem charmanten Erlebnis führte unser Weg in Richtung Partnaunsee nun wieder bergab. Da wir uns immer noch auf einer durchgängigen Schneefläche bewegten, setzte ich mich kurzerhand auf den Hosenboden und schlitterte das grösste Stück hinunter. Meine Wanderstöcke dienten als Paddel und unten als Anker. Herr Monet flitzte begeistert hinter mir her und mein Mann filmte das Spektakel. »Qualitätstest« murmelte ich, als er mich unten eingeholt hatte. »Jetzt weiss ich wenigstens, dass die Hose dicht und stabil ist«, grinste ich übermütig. Allerdings konnte ich mit dem schweren, grossen Rucksack auf dem Rücken nicht mehr alleine aufstehen. Wie Monet zuvor im Schnee, sass auch ich nun statisch etwas unglücklich, wie ein Käfer auf dem Rücken, im kalten Weiss und konnte aus eigener Kraft nicht aufstehen. Glücklich, wer in solchen Situationen einen Wandergefährten dabei hat, der einem seine helfende Hand entgegenstreckt.
7 1/2 Stunden wandern mit schweren Rucksäcken – Feuerprobe bestanden.
Unser erstes Vorhaben, die Carschina Hütte zu erwandern, gaben wir langsam auf, denn die Hütte liegt mit knapp 2’240 m relativ hoch. Die Altschneemassen schreckten uns ein wenig ab. Dass diese Entscheidung richtig war, bestätigte uns später die Wirtin des Alpenrösli, da die Wege zur Carschina Hütte noch gar nicht freigegeben waren.
Stattdessen steuerten wir den Partnunsee an, auf dem noch Eisschollen trieben und der teils noch zugefroren war. Von dort wanderten wir zum Berggasthaus Alpenrösli, wo ein paar vereinzelte Ausflügler bereits draussen in der Sonne sassen. Nach circa 6.5 Stunden Wanderung mit unseren Fernwanderrucksäcken hatten auch wir nun das dringende Bedürfnis, hier an diesem idyllischen Plätzchen kurz Rast zu machen und uns etwas zu trinken zu gönnen. Robert bestellte ein kühles Bier und ich mein erstes Glacé der Saison (für Nichtschweizer: eine Portion Eiscreme). Was gibt es Schöneres, als zufrieden und ein wenig müde nach einer langen, anstrengenden Tour in einer Hütte einzukehren und ein wenig innezuhalten, bevor man sich auf den Heimweg macht?
Die warme Nachmittagssonne hüllte die umliegenden Berge in ein orangerotes Licht, von ferne hörte man die Kuhglocken von den Almen und die Natur um uns herum lief langsam zur Frühjahrshochform auf. Glücklich genossen wir die Atmosphäre und unsere heutige Leistung. Keine Druckstellen von den schweren Rucksäcken, keine Blasen an den Füssen, Herr Monet wirkte auch frisch und zufrieden, sein Rucksack schien schon Teil von ihm geworden zu sein. Unsere Kondition war perfekt, die erste alpine Bewährungsprobe hatte wunderbar geklappt. Und machte Lust auf mehr. Beschwingt und gut gelaunt traten wir den einstündigen Heimweg bergab zu unserem Wohnmobil im Ort an, vorbei an blühenden Almwiesen, auf denen hie und da hinter grossen Felsen das hohe Fiepen eines Murmeltiers zu hören war. Vermutlich gerade aus dem Winterschlaf erwacht, reckten sich die possierlichen Felltierchen genüsslich der warmen Sonne entgegen.
Nach diesem ersten, knapp achtstündigen Probetag sollten noch einige andere Trainingseinheiten in den Bündner Alpen und in unserer Appenzeller Voralpenregion folgen, bevor wir unsere abenteuerliche, vierwöchige Alpenüberquerung von München nach Venedig im Juli in Angriff nahmen. Aber dieses erste Training nach der Winterpause in Sankt Antönien war mit Abstand das eindrucksvollste. Und nicht unser letzter Wanderausflug ins wunderschöne Prättigauer Dörfchen, gleich hinter dem Mond links.
Die Schilderung von euerem Probetag für die Fernwanderung,“München-Venedig“ über die Alpen, war interessant, schön und unterhaltsam. In dem kleinen Ausschnitt die Schönheit und Pracht der Gebirgslandschaft kennen zu lernen, macht Spass.
Weiter so ihr zwei.
danke
Schmitthans