Südafrika: Löwen töten liebevoll
Von Pazifisten, Löwen und toten Gnus
Die BIG FIVE auch in der Cap Region?
Seit ich als Kind Daktari gesehen hatte mit Clarence, dem schielenden Löwen, war einer meiner unerfüllten Kindheitsträume, einmal einen Löwen in der freien Wildbahn Afrikas zu sehen. Auf unserer gemeinsamen Südafrika Tour wollten wir natürlich auch Löwen sehen und all die anderen berühmten afrikanischen Grosswild Tiere. Die berühmten „Big Five“, an die Du sicherlich auch zuerst denkst, wenn Du „Afrika“ hörst. Du kannst sie, quasi als krönenden Abschluss einer Kap Reise, am Ende der Garden Route sehen, wenn Du möchtest. Im Western Cape, nördlich von Port Elizabeth, wo im Osten zum Beispiel der bekannte Nationalpark Addo Elephant Park liegt. Obwohl auf Elefanten spezialisiert, kannst Du dort mit viel Glück auch die weiteren „Big Four“: Wasserbüffel, Leopard, Löwen und Nashörner sehen.
Ganz sicher gehst Du, wenn Du einen der privaten Wildparks besuchst, die nordöstlich von Port Elizabeth liegen. Hier gibt es von Tagessafaris über Übernachtungen in einfacheren Camps bis zu Luxus Game Reserves eine ganze Bandbreite an Fotosafari Angeboten. Je nach Geschmack und Budget. Der Vorteil an allen Parks im Western Cape ist, dass sie in Malaria freiem Gebiet liegen.
Wir entschieden uns für einen privaten Park am Western Cape. Und reservierten unseren Aufenthalt dort, anders als unsere anderen Übernachtungen, bereits fix im Voraus von zuhause aus. Was zu empfehlen ist. Mit der Buchungsbestätigung bekamen wir eine Wegbeschreibung, die lautete wie folgt:
Ab Port Elizabeth auf der R75 ca. 120 km nördlich fahren, dann kommt ein Schild „zum Game Reserve bitte links abbiegen.“
So war die Anfahrt also schon ein kleines Abenteuer. Aber Du wirst es nicht glauben. Die typisch südafrikanische Beschreibung hat gestimmt, und wir fanden unseren Tierpark exakt nach 120 km links.
Ankunft im Wildpark.
Dort fing das Abenteuer allerdings erst an. Denn nach ca. weiteren 10 km auf staubiger Dreckstrasse standen wir vor einem grossen Tor, Teil einer hohen Zaunanlage. Nach einiger Zeit öffnete sich das Tor, ein freundlicher Herr in Rangeruniform gab uns Instruktionen für die Weiterfahrt. Und schon fanden wir uns mit unserem kleinen Opel inmitten einer afrikanischen Steppenlandschaft auf einer schmalen „Dirt Road“, die hinter uns mächtige rote Staubwolken aufwirbelte. Und plötzlich links von uns, in ca. 500 m Entfernung streckten die ersten Giraffen ihre Hälse majestätisch in die Bäume. Daneben Zebras in ihren gestreiften Schlafanzügen. Langsam wurde uns auch klar, warum der Torwächter uns so nachdrücklich eingebläut hatte, das Auto auf keinen Fall zu verlassen. Endlich waren wir wirklich mittendrin im Lebensraum wilder afrikanischer Tiere.
Da es bereits dämmerte, als wir das Camp erreicht hatten, erlebten wir bereits bei unserer Ankunft eine unvergleichliche afrikanische Abendstimmung. Bei wunderschön kitschigem Sonnenuntergang in pink-violett und orange-rot hiess man uns „willkommen“ irgendwo im Nirgendwo der südafrikanischen Landschaft.
Bevor wir in unserer Hütte schlafen gingen, sassen wir am Abend noch lange auf unserer kleinen Holzveranda davor. Und lauschten den exotischen Geräuschen der Wildnis. Denn hier waren wir so fern der Zivilisation, dass keinerlei Alltagsgeräusche mehr zu uns durchdrangen. Nur die Stille und die Tiergeräusche. Hier ein Käuzchen Schrei, dort ein seltsames Rascheln. War das in der Ferne vielleicht Löwengebrüll? Aufgeregt und in freudiger Erwartung legten wir uns schliesslich irgendwann hin. Aber eingeschlafen sind wir erst viel später, erschöpft vom Lauschen in die absolute Dunkelheit und seltsame Stille.
Ausflug in die afrikanische Tierwelt.
Am nächsten Morgen wurden wir mit der Morgendämmerung sehr früh geweckt von einem fröhlichen Vogelstimmen Konzert. Gefolgt von einer Tasse Tee, bevor wir zum ersten Ausflug, dem Game Drive, starteten.
Unser Ranger Michael, setzte uns zusammen mit einem britischen Paar in seinen grossen offenen Jeep. Vor der Kühlerhaube über der Stossstange auf seinem „Späher-Sitz nahm unser zweiter Ranger und Fährtenleser Tom Platz. Und los ging die Fahrt, hinein in den erwachenden Tag. Über holprige steinige Sandwege, durchs Gestrüpp, Hügel auf und ab…vorbei an Wasserlöchern, Riesenkakteen und knorrigen Bäumen. Und da plötzlich in einer Ebene: eine Herde Springböcke mit ihrer eleganten braun-weiss-schwarzen Fellzeichnung und den typischen hohen Sprüngen. Daneben friedlich grasend ein paar grosse Eland Antilopen und Gnus.
Ein paar Minuten später weidete eine Giraffen Sippe mit zwei Junggiraffen das spärliche Grün einiger Bäume ab. Zebras grasten daneben und stoben schnell auseinander, als sie uns kommen hörten.
Unsere Ranger fuhren mit uns zu einem Wasserloch, wo eine Elefantenherde mit Jungtieren badete und sich genüsslich im Schlamm wälzte. Wie rührend sich die alten Elefanten um die Kleinen kümmerten und sie nicht aus den Augen liessen. Beim Anblick dieser liebevollen Kolosse verspürten wir ein warmes, wohliges Glücksgefühl. Und wären am Liebsten den ganzen Tag hier am Wasserloch gesessen, um dieses traute Familienglück zu beobachten.
Weiter ging die Fahrt, auf der Suche nach den Löwen. Tom, unser Fährtenleser, hatte Tatzenspuren gesehen, denen wir nun sehr langsam mit dem Jeep folgten. Plötzlich ein abrupter Halt, das Zeichen, sich mucksmäuschenstill zu verhalten. Und tatsächlich, da vorne unter einem Baum, im Gestrüpp liegend, eine Löwin. Wow, ganz schön gross diese Miezekatze. Und weil das nicht schon aufregend genug war, kurze Zeit später zwei junge Löwenmännchen mit eindrucksvollen Mähnen, von links. Gefährlich nah und gleichzeitig unglaublich majestätisch schlenderten die Beiden neugierig an unserem Jeep vorbei. Offensichtlich satt und entsprechend gelangweilt passierten sie unsere Truppe und verschwanden mit einem kurzen letzten Schulterblick wieder im hohen Gras.
Während die Löwin weiter faul unter ihrem Baum lag. Ein spannendes Zusammentreffen mit den Königen der Tiere. Es sollte nicht das Letzte gewesen sein.
Nashörner und die stolzen Wasserbüffel mit ihren geschwungen ondulierten Hörnern bekamen wir ebenso zu sehen wie Riesenschildkröten, Schakale und Warzenschweine.
Nach der ausgiebigen Morgenausfahrt hatten wir tagsüber in der grössten Hitze „frei“ und ruhten uns im Camp aus.
Am späten Nachmittag gab es dann einen zweiten Game Drive, in den Sonnenuntergang und die Dämmerung hinein. Um dieses unvergleichliche Licht in freier Natur zu erleben. Und natürlich, um die eher dämmerungs- und nachtaktiven Tiere zu sehen. Bei dieser Gelegenheit kreuzte unter anderem ein aufgeregtes Stachelschwein unseren Weg, Käuzchen riefen uns aus den Bäumen zu. Und überall huschte und wuselte es rechts und links des Wegs.
Eine Gepardenfamilie mit Jungtieren, die an einem ausgetrockneten Bachbett picknickte, war ein besonderes Erlebnis. Vor allem, weil wir auf der anderen Seite des Flussbetts ausgestiegen waren und uns den Wildkatzen so richtig nah fühlten.
Löwen töten liebevoll und halten sich selten an Zeitpläne.
Als wir an unserem letzten Abend bereits im Schlafanzug beim Zähneputzen in unserer Hütte waren, klopfte es in die Stille hinein plötzlich heftig an der Tür. Erschrocken fuhren wir herum und schauten uns an. Nanu, Besuch so spät am Abend? Nach der ersten Schrecksekunde öffnete ich schliesslich die Tür einen Spalt, um unseren Ranger vorzufinden.
Ausser Atem, mit rotem Kopf und aufgeregt gestikulierend redete er auf mich ein. Und was ich auf die Schnelle verstand war:
„Löwe, fressen, Gnu, Ausfahrt, anziehen, schnell!“
Was er uns also sagen wollte war Folgendes: Eine Angestellte des Camps hat auf dem Nachhauseweg durchs Reservat direkt neben der Sandstrasse eine Löwenfamilie entdeckt, die frisch ein Gnu gerissen hatte. Und dieses nun in der Dunkelheit genüsslich verspeiste. Und er bot uns an, mit ihm und dem Fährtenleser im Jeep hinauszufahren, um uns das anzuschauen. So schnell waren war noch nie im Leben in unsere Jeans gesprungen. Das wollten wir auf jeden Fall sehen. Ohne gross darüber nachzudenken, was uns da erwarten könnte, folgten wir dem Ranger, angesteckt von seiner Euphorie, zum Jeep in die Dunkelheit und Stille der Nacht.
Unser mutiger Fährtenleser sass auch jetzt bei Nacht vorne auf der Motorhaube. Einen grossen Suchscheinwerfer in der Hand, während unser Ranger mit uns durch die nächtliche Wildnis fuhr. Ich weiss nicht mehr, ob meine Zähne klapperten vor Aufregung oder weil es nachts deutlich abkühlte. Schweigend fuhren wir in die angegebene Richtung.
Plötzlich wieder ein Stopp des Autos und des Motors, angestrengt blickten wir Laien in die Dunkelheit. Und als der Motor schwieg, hörten wir die Geräusche: ein Rupfen und Reissen, Schmatzen, Knacken und leises Fauchen. Ein seltsam süsslicher, eisenhaltiger Duft nach frischem, warmem Blut, gemischt mit dem Geruch der wilden Grosskatzen stieg uns in die Nase. Unser Fährtenleser Tom richtete vorsichtig seinen Suchscheinwerfer in die entsprechende Richtung. Dort sahen wir sie, in unmittelbarer Nähe direkt vor unserem Jeep: drei junge Löwenkinder, die dabei waren, ein grosses erlegtes Gnu zu fressen. Im Hintergrund ca. 20 m weg von ihren Sprösslingen lag die Löwin, und relativ ungewöhnlich, auch ein stattlicher Löwenmann. Beide offensichtlich die Jäger des armen Gnus und bereits satt.
Der Anblick der Wildkatzen bei ihrem blutigen Mahl ist nur schwer in Worte zu fassen. Mit gemischten Gefühlen und natürlich sehr aufgeregt verfolgten wir mit angehaltenem Atem das Schauspiel. Die Junglöwen zerrten und rissen an dem toten Tier, frassen wieder ein Stück, liessen wieder ab von der Beute. Um dem Gnu im nächsten Moment geradezu liebevoll über die Nase zu lecken. Bevor sie ihre eigenen blutigen Mäuler abschleckten. Um im nächsten Moment wieder ihre Reisszähne in das erlegte Tier zu schlagen. Oder mit ihren grossen Tatzen den Geschwistern eins zu verpassen, wenn diese ihrem Teil der Beute zu nahe kamen.
Vielleicht trifft der Ausdruck „ein schaurig schöner Anblick“ dieses Erlebnis am Besten. Wir, überzeugte Pazifisten, die keiner Fliege etwas zu Leide tun können, hatten einerseits grosses Mitleid mit dem armen Gnu, das hier erwischt worden war. Andererseits hatte dieses „grosse Fressen“ etwas so Archaisches und in seiner Natürlichkeit Selbstverständliches, dass wir das Gefühl hatten, es ist gut so wie es ist. Und es muss so sein. Wie die alten satten Löwen ihre Jungen beim Fressen wohlwollend, geradezu liebevoll, beaufsichtigten. Und die Jungen mal zärtlich, dann wieder brutal mit ihrer Beute umgingen. All das hinterliess vielfältige, tiefe Gefühle, die unbeschreiblich und unvergesslich sind.
Nach ca. einer Stunde verliessen wir wieder langsam und vorsichtig das spektakuläre Mahl. Und gingen ergriffen und schweigsam zu Bett.
Am nächsten Morgen war das seltene Ereignis immer noch Thema aller Gäste und der Angestellten. Im Scherz sagte ich zu meinem Mann: „Wenn wir heute Nachmittag die Lodge verlassen und an der Stelle vorbei kommen, musst Du aussteigen und die Hörner des Gnus als Erinnerung an dieses Erlebnis mitnehmen!“
Natürlich fanden wir die Stelle nicht mehr und schon gar keine Hörner oder andere Reste. Davon abgesehen, dass wir auch nicht freiwillig aus dem Auto gestiegen wären.
Die Löwen uns das Gnu begleiteten uns gedanklich aber noch eine ganze Weile auf unserer Rückfahrt nach Kapstadt, entlang der Garden Route.
Der Geist des toten Gnus
Zurück in Kapstadt, besuchten wir schliesslich noch für ein paar Tage einen guten Freund, um unseren Südafrika Trip entspannt abzuschliessen.
Im hippen Stadtviertel Woodstock, dem jungen und vor Kreativität sprudelnden Design District, kannst Du Dich von afrikanischer Kunst in allen Farben und Formen, eindrucksvoller Architektur, Designer Möbeln oder moderner Kunst inspirieren lassen. Und nach dem ganz besonderen Geschenk für die Lieben zu Hause stöbern.
Und dort, inmitten angesagter Designläden und Kunstgalerien, entdeckten wir in einem Antiquitäten- und Trödelladen, ganz hinten in einer Ecke einen verstaubten, vom Zahn der Zeit leicht angefressenen ausgestopften Kopf eines Gnus. Die glänzenden Glasaugen schienen mich direkt anzusehen und zu sagen:
„Hol mich hier raus, ich habe Besseres verdient als hier in Vergessenheit zu verstauben!“
Es mag verrückt klingen. Normalerweise lehne ich jede Art von Trophäenjagd und ausgestopfte Tiere vehement ab. Es wäre mir noch nie in den Sinn gekommen, meine Wohnung mit toten Tieren zu dekorieren. Und nun stand ich vor diesem alten staubigen Gnu mit seinen traurigen Augen. Und hatte Mitleid. Das Gefühl, dass es vor Jahrzehnten vermutllich einen wesentlich sinnloseren Tod sterben musste, als das vor wenigen Tagen erlegte Beutetier der Löwen. Mitleid, dass sein sinnloser Tod nun offensichtlich nicht einmal mehr für den damaligen Trophäensammler einen Wert zu haben schien. Und dass es nun sein restliches irdisches Dasein einsam und verschmäht in der hintersten Ecke eines Antiquitätenladens fristen sollte.
„Ganz schön schräg“,
wirst Du nun denken. Dachte ich auch und verliess das Geschäft mit meinem Mann wieder, ohne etwas zu kaufen.
Und das Ende der Geschichte?
Am nächsten Tag wollte ich unbedingt nochmals im Antiquitätenladen vorbei schauen. Nur um zu sehen, ob es noch da ist. Es wartete natürlich noch an der gleichen Stelle. (Der allgemeine Trend für Gnu Köpfe tendierte damals gen Null). Was soll ich sagen? Meine innere Stimme wollte einfach nicht verstummen. Wir haben das Gnu gekauft und ihm einen Ehrenplatz in unserer Wohnung gegeben.
Dankbar blickt es uns seitdem täglich von unserer Wand zuhause an. Und erinnert uns immer daran: „Löwen töten liebevoll“. Und niemals sinnlos.
…. Mir kommen die Beschreibungen realitätsfern vor. Spirituell vermenschlicht und geradezu respektlos gegenüber dem grausam harten tagtäglichen Überlebenskampf wilder Tiere.
Liebe Alexandra, warst Du schon mal in der afrikanischen Wildnis?
Du hast recht, dass das Leben ein tagtäglicher Überlebenskampf ist..nicht nur bei den wilden Tieren. Und die Menschen kämpfen mit den perfidesten und unfairsten Mitteln , wie ich finde. In diesem Sinne wünsch ich Dir stets nurMut & alles Gute!
Hallo Petra!
Deine Seiten sind alle Hochinteressant lehrreich und Gut. Ich freue mich immer schon auf die nächsten Berichte.
Mach weiter so, dein Leserkreis wird grösser werden und sich über die Vielfältigen Berichte ebenfalls freuen.
Gruß
Scmitthans
Lieber Schmitthans, es freut mich sehr, dass Dir meine Geschichten gefallen. Und ich bedanke mich herzlich für Deinen Kommentar. Gerne mache ich weiter und erzähle mehr…Du darfst gespannt sein. Liebe Grüsse und nurMUT Petra