Durch vier Zimmer musst Du gehen im Veränderungsprozess
Das vier Zimmer Prinzip von Hansueli Eugster
Veränderung ist ein Prozess.
„Love it, leave it or change it“, diesen Satz hast du sicherlich auch schon gehört oder selbst zitiert. „Lerne es zu lieben, hör ganz damit auf oder verändere etwas!“ Was immer es ist: Job, Beziehung, Lebensweise oder Lebensumgebung. Leicht gesagt, meistens aber schwer in der Umsetzung. Und manchmal haben wir auch gar keine Wahl, wenn die Umstände für uns entscheiden.
Bei jeder Veränderung in unserem Leben, ob von aussen oder selbst herbeigeführt, durchlaufen wir meist verschiedene Phasen. Oder bleiben zuweilen auch darin stecken, ohne wirklich etwas zu verändern. Weil wir vorzeitig aufgeben.
Wenn Du diesen Mechanismus erst einmal analysiert und verstanden hast, ist es in Zukunft einfacher, Veränderungsprozesse zu meistern. Und Durststrecken, Zweifel, Stillstand durchzustehen bzw. auch zuzulassen. Weil sie eben auch dazu gehören, wenn wir etwas verändern wollen…oder müssen.
Der Schweizer Berater Hansueli Eugster hat zur Veranschaulichung ein Modell entwickelt, das die einzelnen Phasen in einem Veränderungsprozess meiner Meinung nach sehr gut beschreibt. Er spricht von den Hauptphasen der Veränderung als den vier Zimmern, die durchschritten werden müssen:
Der kuschelig bequeme Status Quo.
Du befindest Dich zunächst in Zimmer 1, der Zufriedenheit, dem momentanen Status Quo, wo alles in Ordnung zu sein scheint.
Du kennst Dich aus. Weisst, was zu tun ist. Fühlst Dich in den alltäglichen, gewohnten Abläufen sicher und zumeist auch zufrieden. Eine Routine, die Du kennst. Manchmal vielleicht ein bisschen langweilig, da nicht viel Neues passiert. Oder nervig, weil einige Aspekte nicht mehr ganz zu Dir passen. Dafür vermeintlich mit wenig Risiko verbunden. Alles in allem aber sehr bequem, wenn auch nicht immer perfekt.
Irgendwann kann es jedoch passieren, dass Dich ein Erlebnis, ein Einfluss von aussen, externe Veränderungen, Schicksalsschläge oder äussere Zwänge hinaus katapultieren aus dem Gewohnten, der Routine. Raus aus dem Zimmer der Zufriedenheit. Das können z.B. Verluste, Trennungen, Umstrukturierungen im Job, Neuorganisation, Krankheit oder in der heutigen Zeit immer öfter ein Burn-Out Syndrom oder eine Sinnkrise sein.
Dinge, die unsere gesicherten Abläufe gefährden, in Frage stellen oder sogar unmöglich machen. Und obwohl Du vielleicht oft schon vorher Anzeichen möglicher Veränderungen bewusst oder unbewusst wahrgenommen hast, treffen Dich diese Ereignisse unvorbereitet und wie ein Hammer.
Nichts ist mehr wie es war.
Du wirst, ob Du willst oder nicht, vor vollendete Tatsachen gestellt. Und meist unsanft ins Zimmer Nr. 2, das Zimmer der Verleugnung befördert. Wo Du Dich unvermittelt wieder findest. Wie in einem schlechtem Alptraum und denkst: „Das kann doch alles gar nicht wahr sein!“ „Wieso kann nicht mehr alles so sein wie früher?“ Du ignorierst die neue Situation zunächst instinktiv. Willst am alt Gewohnten festhalten. Um dann wütend zu denken: „Ich will mein altes Leben zurück.“ „So eine Ungerechtigkeit!“ und „Wieso immer ich?“ Aber beim Versuch, durch die Tür zurück ins alte Zimmer der Zufriedenheit zu treten, musst Du schmerzhaft feststellen, dass es keine Türklinke zurück gibt. Der Rückweg in den alten bequemen und vertrauten Status Quo ist versperrt. Du jammerst, zerfliesst in Selbstmitleid und leckst schmollend deine Wunden.
Die Flucht nach vorne.
Dann versuchst Du, allem zu entfliehen. Nämlich in Zimmer Nr. 3, das Zimmer der Verwirrung. Wo Du Dich erst einmal schüttelst und Dir der neuen Situation wirklich bewusst wirst. Dass Du nämlich das Geschehene nicht rückgängig machen kannst. Und Dein altes Zimmer Nr. 1, wie Du es kanntest, für immer für Dich verschlossen bleiben wird. Das ist sehr unangenehm und zum Verzweifeln. Du sitzt verwirrt im luftleeren Raum mit vielen Fragezeichen im Kopf. Bist unsicher und misstrauisch, wie es weitergehen soll. Hörst widersprüchliche Stimmen, Meinungen anderer und siehst zunächst selbst keine Perspektive nach vorn. Sitzt, ängstlich und betäubt, wie das Kaninchen vor der Schlange regungslos da. Und bist in höchstem Masse durcheinander.
„Vorwärts Kameraden, wir müssen zurück…“
Da ist es nur allzu menschlich und verständlich, wenn einige den Rückzug nach hinten anzutreten versuchen. Zurück in gewohntes Terrain, wenigstens ein bisschen. Einige erliegen dann leicht der Versuchung, durch die Drehtür zurück ins Zimmer der Verleugnung zu huschen. Dorthin, wo man seine Wunden lecken und im Selbstmitleid suhlen kann. Wo man ein klares Feindbild hat. Nämlich das böse Schicksal. Die schreckliche Firma. Oder den unmöglichen Partner. Hier kann man wenigstens jemandem die Schuld geben an der Misere, in der man sich befindet. Und jammern, schimpfen oder resignieren.
Diesen Rückzug kann ich aus eigener Erfahrung nicht empfehlen. Er führt in eine Sackgasse. Oder schlimmer, in einen Teufelskreis aus Selbstmitleid, Opferrolle, Weltschmerz und schlimmstenfalls Verbitterung.
Besser für Dein persönliches Wohlbefinden ist immer der Weg weiter nach vorne. Egal wie hart er anfangs erscheinen mag. Er ist der richtige und konstruktive.
Verwirrung und Chaos als Chance.
Wenn Du es im ungemütlichen Zimmer der Verwirrung eine ganze Weile aushälst. Und dort lernst, mit den gegebenen Tatsachen umzugehen. Abschied nimmst vom Verlorenen und Unwiederbringlichen. Und die neue Situation akzeptieren lernst. Dann wirst Du mit der Zeit das Erlebte nachhaltig verarbeiten.
Nach der anfänglichen schmerzlichen Verwirrung folgt mit der Zeit nämlich in Zimmer Nr. 3 eine nächste Phase. Die des kreativen Chaos. Wenn Du Dich getröstet, getrauert und Abschied vom Alten genommen hast, kommen langsam aber sicher wieder Ideen. Zunächst verwirrende, unsortierte Gedanken, Visionen, Träume und Phantasien. Vieles wird durchdacht, wieder verworfen, neu aufgenommen, mit anderem verknüpft. Es gibt wieder Platz für Gedanken an das „Danach“.
„Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können!“ (Friedrich Nietzsche)
Ähnlich wie ein Kind. Das erst trotzig, dann traurig den Rückzug angetreten hat, wenn ein anderes Kind sein Spielzeug kaputt gemacht hat. Und das, nach einiger Zeit der Trauer über den Verlust, wieder aus seinem Zimmer hervorkriecht, um sich neue tolle Spiele auszudenken und zu entdecken. Ausgeheult, innerlich irgendwie gereinigt, ein bisschen erschöpft, aber auch erleichtert. Und wieder neugierig auf neue Spiele und neue Freunde. So kannst Du aus Zimmer Nr. 3 mit vielen neuen Ideen, Plänen und Visionen, vielleicht lange gehegten Sehnsüchten und Träumen, weiterziehen.
Der Zauber des Anfangs.
Ab durch die Tür in Zimmer Nr. 4, das Zimmer der Erneuerung. Wo Du die neuen Ideen und Visionen zu einem positiven Neuanfang nutzen kannst.
Meist funktioniert das erst so richtig gut, wenn Du wirklich in Zimmer Nr. 3 das Alte, Unwiederbringliche gebührend verabschiedet und verarbeitet hast. Und das Neue sich lange genug entwickeln und wachsen konnte. Du Dich richtig mit Deinen neuen Gedanken anfreunden konntest. Vielfach pendelt man anfangs auch noch ein bisschen hin und her zwischen der Verwirrung aus Zimmer 3 und der Lust auf Neues in Zimmer 4. Das ist normal, und durch die Türklinken auf beiden Seiten der Zimmer auch möglich. Aber irgendwann bist Du dann ganz angekommen im Zimmer 4, der Erneuerung.
Und die Erfahrung zeigt, dass Du dort wieder zur alten Form zurückfinden wirst, oft sogar zu einer neuen, gestärkten. Deine Zweifel verschwinden. Plötzlich hat Du das Gefühl, genau die richtigen Menschen für Deine neuen Projekte oder Vorhaben zu treffen. Alles läuft wieder runder. Deine Ideen fallen auf fruchtbaren Boden. Und die Sonne beginnt wieder für Dich zu scheinen. Wenn Du im Zimmer 3 noch Deine neuen Themen selbst gesucht hast, so finden sie Dich in Zimmer 4 wie von Zauberhand.
Und der Kreislauf der Veränderung schliesst sich am Ende für Dich. Du kannst durch die Erneuerung im vierten Zimmer wieder ins Zimmer Nr. 1 einziehen. Und zurückkehren zu Deiner persönlichen Zufriedenheit, die dieses Mal auf ganz neuen Dingen und Sichtweisen basiert. „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“,wie Hermann Hesse es in seinem Gedicht so treffend formuliert hat:
Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen.
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
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