Von Schildkröten, Libellen und der Liebe eines Schmetterlings im Dschungel
Im Kampf um den Erhalt solcher Paradiese dürfen die Bürokraten nicht gewinnen.
Spontaner Ausflug zum Oberrhein mit unerwarteten Folgen.
Als wir an einem der vergangenen Wochenenden im Juni einen Ausflug zu meinen Eltern in den Schwarzwald machten, bogen wir mit unserem Expeditionsmobil wie so oft zu einem kleinen Abstecher in den Kaiserstuhl ab. Dass wir dort unverhofft Zeuge des Frühlings und seiner kleinen Wunder werden würden, wussten wir bei der Anreise noch nicht. Auch nicht, dass wir fortpflanzungswilligen Schildkröten, prächtigen Libellen und liebestollen Schmetterlingen beim nicht ganz artgerechten Fremdgehen begegnen würden.
Und das kam so.
An einem Donnerstagmittag fuhren wir mit Hund Monet und unserem Reisemobil „Koffer“ spontan aus unsere Schweizer Heimat nach Burkheim am Kaiserstuhl, wo es inmitten der Weinberge und oberhalb der charmanten, historischen Altstadt einen schön gelegenen Stellplatz gibt.
Wie schon oft suchten wir hier die perfekte Mischung aus Weinbergen und wildem Rheinauenwald, wo es sich stundenlang so herrlich in Ruhe wandern und entdecken lässt. Fern der touristischen Hauptströme kann man hier als Wohnmobilreisender seine Seele baumeln lassen. Und findet dennoch im nahegelegenen Ort und der Umgebung Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants und Infrastruktur.
Am Ankunftstag noch schnell einen ausgedehnten Hundespaziergang durch die üppig grünen Reben, vorbei an blühenden Sommerblumen und prall gefüllten Obstbäumen, wo überall eifrige Insekten, darunter farbenfrohe Schmetterlinge, fleissig summend und flatternd die Lüfte belebten.
Herrlich, denn hier am Kaiserstuhl im südbadischen Rheintal sind die Temperaturen immer einige Grade wärmer als in unserem Schweizer Voralpenland. Und auch innerhalb Deutschlands nennt man die Ecke dort die „Toskana Deutschlands“, weil hier hinter dem Rheinknie stets die höchsten Temperaturen gemessen werden. Was dem hier wachsenden Wein auch sehr gut bekommt.
In einem ohnehin sehr schönen Frühsommer genossen wir den Sommernachmittag am Oberrhein mit allen Sinnen. Und abends auch ein Gläschen der Burkheimer Scheurebe. Gut gekühlt übrigens ein süffiger, sehr feiner Sommerwein.
Zerstört die letzten kleinen Paradiese bitte nicht!
Waren wir am Vorabend bis zum Eindunkeln bei einem unglaublichen Vogelkonzert eingeschlafen, wurden wir am nächsten Morgen mit einer ebensolchen Vogelsinfonie geweckt. Als ich während des Frühstücks aus unserem Fenster schaute, sah ich draussen einen prachtvollen Grünspecht beim fachmännischen Begutachten eines Holzpfostens.
»Ob der wohl als Behausung dienen könnte?“,
schien der bunte Baumeister sich zu fragen, wie er da so prüfend vertikal an dem Pfosten herumturnte. Leider wollte er mit seiner Untersuchung nicht so lange fortfahren bis ich umständlich meine Kamera aus dem Schrank gekramt hatte. Dennoch, der Tag begann bereits mit einem wunderschönen Tier, das sich uns präsentierte. Und das sollte nur der Anfang sein.
Nach dem Frühstück brachen wir mit Herrn Monet und unseren Fotoapparaten auf zu einer ca. zweistündigen Wanderung durch die angrenzenden Rheinauen und das Naturschutzgebiet Rappennestgiessen, wo es viele sogenannte Altwasser, kleine Nebenrheinarme und Quelltöpfe gibt, umgeben von naturbelassenem Urwald. Einem kleinen artenreichen Dschungel mitten in Südbaden.
Dieses Mal wollten wir bei unserem Besuch noch tieferen Einblick in das Ökosystem entlang des Rheins bekommen und ergründen, wofür die »Bürgerinitiative für eine verträgliche Retention, Breisach/ Burkheim« seit Jahren eigentlich kämpft. Deren Schilder uns bei früheren Besuchen bereits aufgefallen sind.
»Keine ökologischen Flutungen!«
So die Forderung der Bürgerinitiative. Unter dem Appell auf dem Schild sind Rehe, Hasen und Füchse zu sehen, die zusammen gedrängt auf einem kleinen Stück erhöhten Land, das weggeschwemmt wird, ängstlich zusammenkauern, während um sie herum Wassermassen vorbei fluten. Ein schreckliches Szenario. Offensichtlich soll hier aus in diesem Kleinod friedlicher Natur und Naherholungsgebiet vom Bund und dem Land Baden-Württemberg aus eine Retentionsfläche für den Rhein bei Hochwasser geschaffen werden, um die weiter nördlich liegenden Grossstädte am Rhein vor Überflutungen zu schützen. Dort, wo teils aus Profitgier Luxus Appartements immer näher ans Wasser gebaut wurden, damit Städter auch mal einen Blick auf den Rhein und »die Natur« werfen können, während sie an ihrem Cocktail nippen, fürchtet man nun zunehmend die drohenden Wassermassen bei Extremwetterlagen, die ganz früher vor Rheinbegradigungen, Staustufen und absurden Bauprojekten am Wasser in natürlichen Retentions-Zonen genügend Fläche zur Ausdehnung gehabt hätten. Ökologische Flutungen klingt zwar irgendwie nach Naturschutz, bedeutet jedoch regelmässige Überflutungen dieses Naturschutzgebietes und damit eine komplette Veränderung der Flora und Fauna. Vertreibung und gezielte Ertränkung einiger Tierarten, die sich nicht rechtzeitig vor den Fluten retten können.
Wir wollten uns dieses Mal selbst ein umfassendes Bild machen von der Flora und Fauna in diesem Gebiet und davon, was hier offensichtlich auf dem Spiel steht.
Auf der Suche nach dem Eisvogel
Bereits auf unserem Weg in das Naturschutzgebiet Rappennestgiessen werden wir von emsigen Schmetterlingen begleitet, die Vögel in den Baumkronen über uns jubilieren wie an einem besonderen Festtag. Wir passieren einige lustige Kunstwerke, die ein Burkheimer Künstler hier mitten in der Natur liebevoll platziert hat.
Unser Weg führt direkt durch den rechts und links dichter werdenden Wald, wo die Sonne immer wieder kleine, interessante Lichtinseln bildet. Es duftet nach Blüten und knackt im Unterholz. Monet trabt interessiert lauschend und schnüffelnd stets ein paar Meter vor uns her.
Plötzlich bleibt er stehen und guckt konzentriert mit aufrechtem Schwanz nach links in den Wald. Ein Reh steht dort zwischen den Bäumen und guckt zurück. Einmal mehr sind wir froh, dass unser Hund kein Jäger und äusserst vorsichtig gegenüber anderen Tierarten ist. So stehen wir alle nur und staunen, bis das Reh durchs Dickicht verschwindet.
Unser Ziel ist ein Weiher inmitten des Gebietes, wo wir gestern beim Nachmittagsspaziergang unverhofft einen leuchtend blauen Eisvogel davon flattern sahen. Heute würden wir ihn gern vor unsere Kamera bekommen.
Eine Schildkröte? -Unverhofft kommt oft.
Am Rand des Weihers, der sich länglich durch den Dschungel zieht entdecken wir zunächst wunderschöne Seerosen.
Über eine schiefe Holzbrücke gelangen wir zum hinteren Teil des Gewässers, wo abgestorbene Bäume eine skurrile Kulisse bilden.
Hier ist der Eisvogel gestern aufgestiegen, und wir hoffen, ihn auch heute wieder hier anzutreffen. Robert stellt deshalb auf einer Wiese am Ufer sein Stativ auf, während Herr Monet vorsichtig ein kleines, erfrischendes Bad im Weiher nimmt, denn die Temperaturen steigen stetig.
Monet schwimmt glücklich im kühlen Nass, während um ihn herum die Frösche und Kröten quaken. Ich schau währenddessen zu den Bäumen im Wasser hinüber, ob ich den seltenen, blauen Vogel irgendwo finde. Dabei streift mein Blick die vor mir liegende Wiese und entdeckt eine seltsame Erhebung im Gras.
»Was ist denn das?«
Ich gehe vorsichtig näher zu dem dunklen Hügel und traue meinen Augen nicht. Leise rufe ich zu Robert und seinem Stativ hinüber:
»Guck mal, eine Schildkröte!«
»Die ist bestimmt aus Plastik«,
antwortet mir mein Mann ungläubig grummelnd und beschäftigt sich weiter mit seiner Fotoausrüstung.
Herr Monet ist inzwischen nass wie ein Frottehandtuch dem Weiher entstiegen, schüttelt sich kräftig und kommt interessiert wedelnd auf mich und das weiter vorne liegende Etwas zu.
»Sitz!«,
rufe ich ihm gedämpft aber bestimmt zu. Denn ich glaube nicht, dass die Schildkröte aus Plastik ist. Monet übrigens auch nicht, denn er schnüffelt ganz intensiv in ihre Richtung, hält aber respektvollen Abstand. »Man bzw. Hund weiss ja nie!«
Vorsichtig setze ich einen Fuss vor den anderen, um das seltene Tier nicht zu erschrecken. Sie ist recht gross. Und entgegen meiner sonstigen Erfahrung mit diesen Tieren scheint sie gar nicht scheu zu sein, denn sie würdigt mich keines Blickes und zieht sich auch nicht in ihren Panzer zurück. Sie bewegt sich kaum. Beim Näherkommen sehe ich, dass die Wiese unter ihren Hinterbeinen aufgewühlt ist, ein kleines Erdloch tut sich dort auf.
Neugierig, unendlich langsam und mit gebührendem Abstand umrunde ich das Tier und betrachte es von hinten.
»Was war das denn?«
Da ist doch gerade was in das Loch gefallen. Zuerst dachte ich, »schamlose Schildkröte!«, kackt mir hier direkt vor die Füsse. Bis ich unten im Erdloch, leicht verdeckt vom Schildkrötenschwanz ovale, weiss schimmernde Eier sehe.
»Ich werd verrückt! Mitten in Südbaden am Kaiserstuhl legt vor meinen Augen eine Schildkröte ihre Eier in ein Erdloch!«
Sowas hatte ich bisher nur in Tierdokufilmen aus fernen Ländern gesehen.
Vorsichtig entferne ich mich wieder von der hoch konzentrierten Schildkrötenmama, die mich wie in Trance gar nicht zu bemerken scheint und ihr Werk fortsetzt. In regelmässigem Abstand fällt ganz leicht und vorsichtig wieder ein neues, weiches Ei ins Loch zu den anderen.
»Robert, komm schnell. Das glaubst Du nicht. Und bring Dein Stativ und Kamera mit!«
Mein Mann, der begeisterte Fotograf kann sein Glück kaum fassen.
Verliebter Schmetterling im Garten Eden
Und unser Hund? Sitzt mit einigem Abstand ebenfalls konzentriert da und beobachtet regungslos das seltsame Tierchen. Dabei wird er von einem liebestollen, kleinen, hellblauen Schmetterling umrundet, der sich mal auf seinen Rücken setzt, dann auf seinen Nacken und ihm immer wieder eifrig um die Nase schwirrt.
Monet rührt sich nicht vom Fleck. Der kleine Bläuling findet unseren Hund hochinteressant und lässt nicht von ihm ab, während Monet mucksmäuschenstill die unerwartete Zuneigung über sich ergehen lässt und die Schildkröte nicht aus den Augen lässt. Schliesslich landet der blaue Falter neben Monets linkem Auge direkt auf seinem Nasenrücken und bleibt dort verzückt sitzen. Festgehalten in diesem kleinen Film:
Dieser wilde Weiher inmitten des Urwaldes mit seiner kleinen Lichtung strahlt eine ganz spezielle Aura aus. Wundervoll friedlich und nicht von dieser Welt.
»Garten Eden«,
denke ich und lächle glücklich darüber, dass man manchmal gar nicht bis ans Ende der Welt zu reisen braucht für diese unglaublichen, einzigartigen Momente im Leben, die man nicht planen kann, und die einem einfach so zufliegen. Wie ein kleiner blauer Schmetterling.
Die Schildkröte ist inzwischen dabei, das Erdloch mit dem kostbaren Inhalt mit ihren Hinterbeinen zu verschliessen.
Mit ihren Krallenfüssen scharrt sie vorsichtig das Erdreich über die filigranen Eier und klopft und stampft die Erde am Schluss gut fest. Wir wollen sie nach diesen Anstrengungen nun nicht länger belästigen und verlassen diesen magischen Ort, um unseren Weg durch den Burkheimer Dschungel fortzusetzen. Der Eisvogel ist vergessen, denn man sollte sein Glück nicht allzu sehr herausfordern.
Dafür umschwirren uns im grünen Dickicht an den träge dahin mäandernden Wasserläufen türkisblau schimmernde Prachtlibellen in wahren Heerscharen.
Wie ein Feenballet tanzen sie zwischen hohem Schilfgras und blühenden Stauden.
Und als ob wir heute nicht schon genügend Schönes gesehen hätten, entdecke ich noch Rispen wilder Wicken, die wie filigrane Orchideen aussehen und dekorativ in üppigem Pink zwischen hohem Gestrüpp hervorlugen.
Schweigend und voller unbeschreiblicher Emotionen wandern wir durch den schattigen Wald zurück zum Ort, wo uns die Zivilisation mit üppig gefüllten Reben, laut tuckernden Traktoren und gepflegt angelegten Gärten wieder empfängt.
Paradiesische Biotope – wichtig als Naherholungsgebiete und Anschauungsbeispiel
Nach unserem kleinen Ausflug in dieses wunderschöne, beinahe märchenhafte und so seltene Biotop klingen unsere Erlebnisse und die Bilder noch sehr lange in uns nach. Und eins ums andere Mal haben wir seither diskutiert über die Bürgerinitiative und die verschiedenen Ansätze. Und darüber, wie wichtig auch wir es finden, dass solche Naturschutzgebiete erhalten und möglichst unangetastet bleiben, in denen das Miteinander von Natur und Mensch so perfekt zu funktionieren scheint, wo keiner den anderen wirklich stört. Darf es tatsächlich an Bürokratie, wirtschaftlichem Wachstum, Paragraphen oder Budgets scheitern, solche Fleckchen Erde zu bewahren, wo Lebensraum für seltene Pflanzen und Tiere, sanfter Tourismus und Naherholung der Einheimischen harmonisch nebeneinander funktionieren? Wir finden nicht und verstehen deshalb die Bedenken der umliegenden Gemeinden und Anwohner sehr gut. Wir finden es mutig, sich mit einer Bürgerinitiative zu wehren und alternative Lösungen zu suchen und wünschen den Initiatoren und Mitgliedern viel Glück, Durchhaltevermögen und vor allem Erfolg!
Denn solche begnadeten Fleckchen Erde dienen nicht nur uns Erwachsenen als wunderbare Ruhe- und Erholungszonen zum Staunen. Sie sind auch wichtig und unverzichtbar für unsere Kinder und nachfolgende Generationen als Beispiele für eine artenreiche Umwelt, wie sie einmal gewesen ist, und wie sie mit den richtigen Entscheidungen in Zukunft vielleicht auch wieder werden kann.
»Ob die kleinen Schildkröten es wohl schaffen werden, in ca. 60 Tagen zu schlüpfen und zum Weiher zu wandern?«, denke ich seit diesem Wochenende immer wieder. Wir wünschen auf alle Fälle auch Ihnen viel Glück und den Erhalt ihres Lebensraums…nurMut!
Petra und Robert
Der Bericht und die Bilder sind einmalig. Was ist das für eine gottbegnadete Gegend, der Kaiserstuhl. Kaum vorstellbar, dass es in so einer Gegend wie dieser vor Jahren die große Auseinandersetzung zwischen der Politik und den Menschen, die da wohnen, gegeben hat wegen dem geplanten Atomkraftwerk. Neben der Belagerung der Gegend gab es den Auspruch: »nai hemmer gsait!«. Diese Standfestikeit der Bevölkerung hatte dmals Erfolg. Was man mit diesen Bildern und Erlebnissen nur begrüßen kann. Ich hoffe, dass noch viele diese wunderbare Natur erleben dürfen.
Herzlichen Dank für diesen schönen Bericht
Schmitthans