Die Wüste lebt – Sand statt Schnee im Winter in Marokko
...und was beide gemeinsam haben.
Plage Blanche – weisser Sand statt Schnee
Nach den blühenden Oasen und Schluchten von Amtoudi im Antiatlas zieht es uns im Winter in Marokko weiter in Richtung Süden. Robert möchte endlich in die Wüste. Das südliche Marokko sowie das zu Marokko gehörende Gebiet der Westsahara locken uns. Auch unser Hund will endlich zu seinem Recht kommen, haben wir ihm doch den heimischen Schnee vorenthalten und stattdessen Sandberge versprochen.
Unser erstes Ziel ist die »Plage Blanche«, der weisse Strand, von dem uns viele Marokkoreisende vorgeschwärmt haben. Eine lange Küstenregion, an der die hohen Sanddünen bis an die Atlantikküste ragen und einen unendlichen Strand bilden.
Auf dem Weg dorthin durchfahren wir die südlich gelegene Wüstenstadt Sidi Ifni. Der dortige Bevölkerungsmix aus Berbern, Arabern, europäischen Rucksacktouristen und Hippies gefällt uns genauso gut wie das Gewimmel in der Hauptstrasse, wo zwischen kleinen Geschäften, Restaurants und Garküchen ein buntes Treiben herrscht. Hier halten wir kurz an, um Fladenbrot, Wasser, Cola und Bargeld zu besorgen, bevor wir die Zivilisation in Richtung Wüste wieder verlassen werden. Auch der Koffer bekommt nochmals eine Tankfüllung spendiert, man weiss ja nie, wann und wo die nächste Tankstelle kommt.
Auf einer sehr schmalen, aber geteerten Strasse hinter Sidi Ifni fahren wir weiter in Richtung Süden. Westsahara, wir kommen!
Piste statt Sandstrand und eine seltsame Warntafel
John Lennon soll einmal gesagt haben:
»Leben ist das, was passiert, während Du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.«
In unserem Fall »passiert« ein kleines, unscheinbares Holzschild unseren Weg, das links von der Strasse mit einem Pfeil und einer handschriftlichen Ortskennzeichnung abzweigt: »Bou Jerif«. Robert blickt mich kurz von der Seite an, setzt den Blinker und fährt schon links hinein, in einen meiner Meinung nach äusserst schmalen, steinigen Feldweg, der leicht ansteigt. Skeptisch schaue ich unseren »Capitaine de la rue« an, denn zum Plage Blanche wäre es weiter geradeaus gegangen.
»Von Bou Jerif hat doch der österreichische Defender Fahrer im »Paradis Nomade« erzählt«, strahlt mich mein Mann an, »das ist doch die Offroad Piste zu dem Stellplatz, wo es Dromedar Tajine als Spezialität gibt!«. Mein Blick verdüstert sich. Offroad Piste statt Sandstrand? Und dann auch noch Dromedar Eintopf? Meine Laune sinkt auf den Nullpunkt, während die unseres Chauffeurs sich sichtlich hebt.
Beschwingt steuert er unseren LKW entlang dieser buckeligen, unebenen, schmalen Zumutung. Während sogar unser Hund, besorgt über das Holpern und Rütteln, aus seinem gesunden Kabinenschlaf erwacht ist und mit Sorgenfalten und ernstem Gesicht stoisch durch die Windschutzscheibe starrt. Ständig um Ausgleich bemüht, um im Sitzen nicht aus seinem Körbchen zu fallen.
»Inshallah!«, denke ich und hoffe, dass welcher Gott auch immer diesen Weg für uns ausgesucht hat, uns hoffentlich heil an seinem Ende ankommen lassen möge!
»Schau doch mal, diese Wahnsinns-Landschaft und die Farben«, schwärmt Robert.
Ebenfalls krampfhaft um Ausgleich und Contenace bemüht, versuche ich durchs offene Fenster möglichst unverwackelte Fotos von der tatsächlich eindrucksvollen Landschaft zu schiessen.
Alle Ocker- und Orangetöne dieser Welt scheinen sich hier in dieser Sand- und Steinwüste zu vereinen. Ich muss wohl nicht betonen, dass wir mutterseelenallein auf dieser Piste unterwegs sind. Plötzlich hält Robert an. Fragend blicke ich zu ihm rüber. »Steig doch mal aus und mach ein paar Fahrszenen…« Auch das noch! Vorsichtig steige ich aus dem Fahrerhaus, um erstens nicht in die Vertiefung zu fallen, die genau unter meinem Ausstieg klafft und zweitens in dieser Wildnis nicht auf eine Schlange oder einen Skorpion zu treten, vor denen es hier sicherlich wimmelt. Robert setzt zurück und lässt mich allein in der Stille. Schon schön irgendwie, halt ein bisschen einsam.
Dann fährt er langsam mit einem mehr als schwankenden Aufbau auf mich zu und an mir vorbei, während ich die Kamera im Anschlag hab. Später, zurück im Fahrerhaus schildere ich ihm, wie sehr unser Wohnaufbau nach rechts und links pendelte, während der LKW in den tiefen Spurrillen und Senken der Piste seinen Weg suchte. »Dafür ist er gebaut, das ist die geniale Dreipunktlagerung«, erwidert mein begeisterter Fahrer glücklich grinsend, während er seinen Weg auf diesem ausgewaschenen, unmöglichen Holperweg fortsetzt.
Eine gefühlte Ewigkeit später stoppt Robert unser Wüstenschiff erneut. Denn vor uns liegt eine steile, abwärts führende Furt. Daneben eine grosse Tafel, auf der in grossen, roten Lettern steht:
»ATTENTION/ WARNING!«
In Französisch und Englisch fordert das handgemalte Schild den Reisenden auf, sofort anzuhalten, auszusteigen und zu Fuss zu kontrollieren.
Wir schauen uns fragend an, als ob hier irgendwo eine versteckte Kamera laufen würde. Oder schlimmer noch: »Marodierende Banden«, die nur darauf warten, dass arglose Touristen ihr sicheres Fahrzeug verlassen, um sofort zuschlagen zu können.
Das Hirn spielt einem manchmal schon üble Streiche, denn ein Warnschild irgendwo im Nirgendwo der marokkanischen Wüste, dazu noch handgeschrieben, findet in unserem westeuropäischen Denken nicht statt. Und deshalb muss daran etwas faul sein, denkt man sich im ersten Moment.
Nach einigen Schrecksekunden des handlungslosen Abwartens öffnet Robert schliesslich seine Fahrertür, nachdem weder ein Kameramann noch böse Buben aufgetaucht sind, und steigt aus. Schliesslich traue auch ich mich. Wir nehmen den steil nach unten führenden Fahrweg genauer in Augenschein, der an dieser Stelle durch ein tiefes, breites Oued, einen marokkanischen Wasserlauf, führt. Glücklicherweise ist dieser ausgetrocknet bis auf ein paar rudimentäre Wasserpfützlein am Grund, die jedoch keine grösseren Schlammlöcher verursacht haben. Langsam dämmert uns, weshalb es an dieser Stelle unbedingt angeraten ist, zu Fuss die Querung zu prüfen. Denn während oder nach starken Regenfällen oder der grossen Schneeschmelze im Atlasgebirge schwillt dieses harmlos wirkende, ausgetrocknete Bachbett vermutlich zu einem reissenden, tiefen Fluss an, dessen Querung aufgrund des schlammigen, matschigen und rutschigen Untergrundes dann nicht zu empfehlen ist, wenn man sein Fahrzeug und die Mitfahrer liebt.
»Alhamdulillah«, murmle ich beruhigt, als ich die trockene Furt erblicke, «Allah bzw. Gott sei Dank«, kein Wasser, kein Schlamm und somit keine Umkehr auf dieser Holperpiste. Sondern mutig voran. Robert haut sämtliche Sperren, die unser Expeditionsmobil hergibt, rein und manövriert unser 9 Tonnen Reiseschiff langsam, aber kraftvoll die Furt hinunter und auf der anderen Seite wieder hinauf. Der Weg steigt weiter an und führt um einen Hügel herum, hinter dem sich eine Anhöhe mit einer imposanten, verlassenen Festung unserem Blick öffnet: das alte französische Fort Bou Jerif, das 1935 von den Franzosen als Besatzungsfestung erbaut und bis 1956 genutzt wurde.
Wir parken unseren Koffer neben einer der alten Festungsmauern und erklimmen den Hügel mit den morbiden Ruinen. Nach dieser Fahrt und dem kleinen Schreck mit dem Oued brauchen wir alle drei ein wenig Sauerstoff und Bewegung, um Adrenalin abzubauen. Ausserdem ist die Aussicht von hier oben sensationell. Wieder einmal einer dieser Orte, an dem man die Gedanken auf Zeitreise schickt und sich vorzustellen versucht, wie es hier war, als noch Leben herrschte. Ausserdem eine wahrhaft göttliche Kulisse für Fotografen.
Unser weiterer Weg führt uns schliesslich zum gleichnamigen Camp, wo wir einen Stellplatz für die Nacht finden und abends im dazugehörigen Restaurant die erste (und letzte) Dromedar Tajine unseres Lebens probieren. Viel besser schmeckt uns das Dessert: eine Früchtetajine aus frischen und getrockneten Früchten mit Honig. Eine leckere Kalorienbombe und Nervennahrung vom Feinsten!
»Plage Vente« und wieder ab in die Wüste
Nach unserem inländischen Offroad Abenteuer bestehe ich am nächsten Tag auf den weissen Strand und ein wenig Meeresbrise, so dass wir doch noch den Weg zur Plage Blanche einschlagen. Nachdem wir beim Morgengassi im Bou Jerif Gebiet noch die Bekanntschaft einer vorwitzigen Wüstenmaus machen durften, die hier überall ihre Bauten in den Sand graben.
Wie so oft im Leben werden allzu hohe Erwartungen selten erfüllt. Kaum an der Plage Blanche angekommen, wo uns ein heftiger Wind die feinen Sandkörner um die Ohren fegt, schauen wir uns auch schon enttäuscht an. Es gibt hier zwar hohe Sanddünen, die wir auch begeistert mit Monet erklimmen, und sie reichen auch bis zum Atlantik, aber es ist aktuell so windig, dass wir uns in milchiger, sandgeschwängerter Luft bewegen, ohne Kopfbedeckung kein Spass.
Lange Strandspaziergänge würden dem Sandstrahlen einer Karosserie gleichkommen. Irgendwie macht die Plage Blanche auf uns einen leicht tristen, wenig anheimelnden Eindruck. Dazu kommen die vielen Verbotstafeln für Camping und Wohnmobile, die auch nicht gerade einladend wirken. Obwohl uns das normalerweise ziemlich egal ist und hier trotzdem einige unentwegte, französische Wohnmobile stehen, haben wir keine Lust zu bleiben. Schnell ein paar Fotos von unserem vierbeinigen Sandfloh auf den Dünen geschossen, und dann nichts wie weg von diesem angeblich traumhaften Strand, den wir heute in »Plage Vente« umgetauft haben.
Nach dem Fort ist vor dem Fort…
»Und was jetzt?«, enttäuscht schaue ich meinen Mann an, der froh zu sein scheint, dass wir die Küste wieder verlassen, um weiter in Richtung Süden zu donnern. Tan-Tan ist unser nächstes Ziel, die zweitletzte Stadt vor der Westsahara. Auf der N1, die zwar als Nationalstrasse die Hauptverkehrsachse in die südlichen Provinzen darstellt, jedoch so schmal und kaputt ist wie in Mitteleuropa kaum eine Dorfstrasse, stechen wir weiter nach Süden. Vorbei an Guelmin, das für seinen grossen Vieh- und Dromedarmarkt an Samstagen bekannt ist. Leider ist heute nicht Samstag, so dass ich schweren Herzens auf den Markt verzichten muss. Was für Tierfreunde wie mich sowieso besser zu sein scheint, wie ich später von anderen Reisenden erfahren werde.
Auf dieser einzigen Strassenverbindung in den Süden quälen sich teils hoffnungslos überladene LKW’s voran, die auf der seitlich unbefestigten, schmalen, bröckelnden N1 unmöglich mit unserem LKW überholt werden können. Die Fahrt wird zu einem anstrengenden Geduldsspiel.
Ein ganzes Stück hinter Guelmim deutet endlich ein wiederum handgemalter dicker Pfeil auf einer Mauer nach rechts mit der Bezeichnung »Ksar Tafnidilt«. Dort wollen wir heute übernachten. Aber wo bitteschön ist die Abfahrt? Kaum gefragt, schon zu spät. Dort wäre sie gewesen. Wie so oft in Marokko, zweigt plötzlich und abrupt ein schmaler Weg von der Hauptstrasse ab, den man als Ortsunkundiger leicht übersehen kann. Robert wendet also todesmutig auf der desolaten, vielbefahrenen N1, um schliesslich nun links auf den schmalen Fahrweg abzubiegen, der erneut in ein wüstenartiges Steppengebiet führt. Wir fahren direkt auf eine imposante, ockergelbe Hügelwand zu, die im Nachmittagslicht golden leuchtet. Der Weg wird schmaler, steiniger und unser Offroad Fan kommt wieder voll auf seine Kosten. Gerade als ich reklamieren will, dass dies unmöglich der Weg zu dem so schönen, luxuriösen Guesthouse mit Stellplätzen sein kann, erscheint am Horizont eine imposante Festungsanlage vor filmreifer Gebirgskulisse.
Hinter dem modernen Ksar auf dem Hügel finden wir einen schönen Stellplatz mit Traumaussicht auf das karge Wüstengebiet zu unseren Füssen. Zuerst wähnen wir uns als Gäste alleine hier, bevor wir beim Rundgang ausser den französischen Gastgebern und ihrem jungen Welpen noch zwei junge Männer treffen. Sie wohnen in einem der Nomadenzelte, die hier ebenfalls angemietet werden können. Ein junger Brasilianer und sein portugiesischer Freund, die von Lissabon aus mit ihren Fahrrädern und »leichtem Gepäck« auf dem Weg zur Elfenbeinküste sind.
Auf einmal kommt mir unsere Reise kein bisschen abenteuerlich mehr vor, als ich vom Plan der beiden Radler höre.
Das Ksar Tafnidilt ist vor allem aufgrund seiner Lage ein besonderer Ort. Denn von hier aus erwandern wir stundenlang die umliegenden, vermeintlich kargen Hügel, auf denen es hie und da doch erstaunlich viel Leben gibt. Und auch hier, in der Ebene, wo der Wasserlauf Draa grösstenteils unterirdisch in Richtung Atlantik verläuft, steht eine alte Festungsruine auf einem Hügel, die für Hundewanderer und Fotografen ein weiteres Highlight darstellt.
Für Hundebesitzer sei in dieser Region allerdings gewarnt vor giftigen Schlangen, die im niedrigen Gestrüpp und Felsen versteckt sein können. Ausserdem empfiehlt sich, in der Dämmerung genügend Insektenschutz zu benutzen, denn hier fliegen abends jede Menge fiese Sandfliegen und Stechmücken umher, deren Stiche vor allem bei allergisch veranlagten Menschen zu bösen Beulen anschwellen können. Für Hunde ist deshalb generell in Marokko das Antiparasiten Halsband Scalibor zu empfehlen.
Da wir bis in die Westsahara der langweiligen, anstrengenden N1 noch mindestens 500 km folgen müssten durch ödes, steiniges Wüstengebiet, beschliessen wir, unser Westsahara Abenteuer auf eine der nächsten Marokkoreisen zu verschieben, da wir ja auch noch die berühmten goldenen Sandwüsten der Erg Chegaga und Erg Chebbi besuchen wollen. Nur Kilometer bolzen wollen wir in unseren ersten drei Monaten Marokko schliesslich auch nicht.
Tata und Agdz – authentisches Berberleben erleben
Also fahren wir die N1 wieder hinauf in Richtung Norden, um in dem kleinen Städtchen Tata am gleichnamigen Wadi unseren nächsten Zwischenhalt zu machen. Inmitten karger Steppenlandschaft liegt Tata mit seinen Oasengärten an einem Wadi, das jetzt im Winter ein wenig Wasser führt und damit für etwas grün im lehmigen Rot und Ocker der Gegend sorgt. Hier gibt es einen schön gelegenen Camping- und Stellplatz am Ortsanfang, direkt am Wadi mit Blick aufs Wasser, die Oasen und den Ort. Perfekte Ausgangslage für Oasenspaziergänge, einen Ausflug in den alten Ortsteil auf dem Hügel oder in den Ort, wo es sonntags einen grossen Markt gibt.
Dieses Mal habe ich Glück und wir sind am Markttag hier. Ein authentisches Erlebnis, bei dem man aus dem Staunen, Gucken und Probieren nicht mehr herauskommt. Ich kaufe mal wieder viel zu viel Gemüse, Obst, Oliven und Gewürze ein. Die Mahlzeiten für die nächsten Tage sind jedenfalls sicher.
Am Wadi von Tata werden wir Zeuge einer grossen Teppich Waschaktion der Berberfrauen, die unter lautem Lachen und Erzählen gemeinsam die riesigen, schweren Berberteppiche zum Wasser wuchten, dort kneten und waschen und anschliessend die noch schwereren, nassen Kolosse zum Trocknen in der Sonne ausbreiten.
Wie überall im Land, lastet die Hauptarbeit auf den Schultern der Frauen, während viele Männer am Strassenrand in der Sonne oder in den Cafés sitzen. Obwohl in den grossen Städten die Gleichberechtigung ganz langsam auf dem Vormarsch ist, und vom Königshaus auch sanft gefördert wird, ist auf dem Land davon nicht viel zu spüren oder zu sehen. Der patriarchalische Islam, die Geschlechtertrennung und eine strikte Aufgaben- und Rollenverteilung ist noch immer allgegenwärtig, was man als europäischer Reisender vielfach als gegeben akzeptieren muss.
Nach drei Tagen »Stadtleben« in Tata fahren wir weiter in die kleine Oasenstadt Agdz, wo wir direkt neben einem alten, sanierten Ksar auf einem leicht marod wirkenden grossen Stellplatz unter Palmen übernachten. Der Ort selbst und seine Einwohner machen auf uns einen eher morbiden, etwas abweisenden Eindruck, obwohl uns viele Reisende von Agdz vorgeschwärmt haben. Die Einwohner sind hier auffallend dunkelhäutig, was wohl teils aus früherer Sklavenzuwanderung aus Schwarzafrika herrühren mag oder von der Durchmischung mit den Saharavölkern, den vorwiegend nomadisch lebenden Sahraouis.
In Agzd werden alte Häuser und Ksars in aufwändiger, althergebrachter Lehmziegel Bauweise saniert. Auch eine deutsche Architektur Hochschule engagiert sich hier finanziell und personell.
Ein kleiner Teil des Ortes führt labyrinthartig durch enge, teils überdachte Gassen, die von Lehmbauten gesäumt sind. Obwohl uns das Herz hier nicht so richtig aufgehen will, finden wir in diesem seltsamen Oasenort aussergewöhnliche Fotomotive, die uns schon ein wenig auf die nun folgende Wüstenregion am Rande der Sahara einstimmen.
Doch zuvor fahren wir noch durch das bekannte und bei Touristen beliebte Draa Tal, eine Oasen-Route und früherer Haupthandelsweg, der bis zur Stadt Zagora führt, an deren Ortsausgang das berühmte Schild hängt, welches im keinem Reiseführer fehlen darf. Die berühmten 52 Karawanentage durch die Wüste bis Timbouctou, der legendären Karawanenstadt in Mali, die ihre besten Zeiten allerdings längst hinter sich gelassen hat und heutzutage leider als sehr gefährlich und wenig empfehlenswert eingestuft wird. Aber Legenden gibt es, weil es sie gibt. Und man sollte auch nicht zu sehr daran rühren. Zagora selbst finden wir hässlich und keinen Stopp wert, so dass wir weiterfahren in Richtung Mhamid, unserem heutigen Ziel.
Mhamid – wo ist der kleine Prinz und wo die letzte Palme vor der Sahara?
Bereits beim Durchfahren des kleinen Wüstenortes Mhamid geht uns wieder das Herz auf, denn hier scheint in gewisser Weise die Zeit ein klein wenig stehengeblieben zu sein.
Mir fällt spontan das Buch »Stadt in der Wüste« von Antoine de Saint Exupéry ein, als wir das kleine Wüstenkaff durchqueren mit seinen wenigen Cafés, kleinen Geschäften, verwinkelten, staubigen Gassen und vielen wüstengängigen Toyota Jeeps.
Vor allem aber die vielen Männer in ihren grösstenteils blauen Gewändern und Turbanen auf dem Kopf vermitteln uns das ultimative Wüsten Feeling. Die sogenannten »blauen Männer« sind eigentlich Mitglieder eines der vielen Nomaden Clans, die in der Sahara leben, auch Sahraouis genannt. Ihr ursprünglicher Lebensraum zieht sich von Algerien über Mail, in das südliche Marokko und vor allem in die Westsahara, wo sie früher auch militant für ihre Unabhängigkeit gekämpft haben.
Hier in Mhamid gibt es wohl einige echte Nachfahren von Sahraouis, man erkennt sie unter anderem an ihrem eher dunklen Teint und tiefschwarzen, gelockten Haaren. Und vor allem daran, dass sie auf keinen Fall als Araber oder Berber bezeichnet werden wollen. Unter den vielen blau gewandeten Männern hier in Mhamid gibt es jedoch einige, die nur den Touristen zuliebe in dieser Kleidung herumlaufen. Denn Mhamid ist der Ausgangsort für geführte Wüstenexkursionen in die Erg Chegaga. Mit Dromedaren und zu Fuss oder mit den geländegängigen Toyota Jeeps, deren Sandspuren hinter dem Ort noch weit am Horizont in der Luft zu sehen sind.
Wir fahren durch den kleinen Ort hindurch, an dessen einem Ende sich tatsächlich ein kleines Café »Petit Prince« befindet mit Bildern und Fotos von Antoine St. Exupéry, der während des zweiten Weltkriegs neben Casablanca und Rabat auch noch ein ganzes Stück weiter südlich in der Stadt Tarfayya als Chef des Flugplatzes stationiert gewesen war. Bevor die Wüste mit ihren Sandpisten und -Dünen beginnt, finden wir den einzigen Stellplatz ohne Mauern und Zäune, das »La Boussolle Camp«, wo wir vom Platzbetreiber, einem echten Sahraoui, an leicht erhöhter Lage einen aussichtsreichen Platz zugewiesen bekommen.
Von hier aus überblicken wir die Wüstenweite und einige Häuserruinen aus Stein, die der Sand sich langsam aber sicher wiederzuholen scheint. Ein magischer Ort, zumal die ganze Szenerie bei Sonnenuntergang in warmes Goldorange getaucht wird, während etwas entfernt kleine Dromedar Karawanen, beladene Esel mit ihren Besitzern oder einzelne Blau- und Weissgewandete zu Fuss an uns vorbei flanieren in Richtung Wüste oder von dort kommend. Hinter unserem Stellplatz donnern hin und wieder die motorisierten Wüstenabenteurer in ihren Jeeps vorbei. Die Wüste lebt! Hier werden wir eindeutig Zeugen, dass dieser Ausspruch stimmt.
Haben wir am Ankunftstag nur die Kulisse, die Stimmung und die Farben vor unserem Mobil sitzend genossen, erkunden wir am nächsten Tag die Wüste selbst per pedes. In altbewährter Art mit Hund und Rucksäcken unternehmen wir die erste richtige Wüstenwanderung unseres Lebens auf der Suche nach der letzten Palme, bevor die grosse Sandwüste ohne jegliches Grün beginnt. Und drehen einen kleinen Film darüber:
Eine Querung der Erg Chegaga mit unserem schweren LKW trauen wir uns bei unserem ersten Marokkobesuch noch nicht zu. Und in einer geführten Gruppe haben wir keine Lust. Nach den Erfahrungen, die wir jedoch im weiteren Verlauf dieser Reise noch machen werden, wird diese Sandwüsten Querung mit dem Koffer das nächste Mal sicherlich ein fester Bestandteil unserer nächsten Marokkoreise werden.
So verlassen wir die Erg Chegaga und Mhamid nach drei entspannten Tagen, um auch noch den anderen grossen Sandkasten Marokkos zu besuchen, die goldenen Sanddünen der Erg Chebbi, in der Nähe von Merzouga.
»Sändele« – der Traum eines jeden Offroad Fahrers wird wahr
Auf dem Weg dorthin durchqueren wir einmal mehr unglaubliche Landschaften, wovon wir eine besonders faszinierende, sehr einsame Gegend um Tikkert-n-Ouchchane als nächsten Übernachtungsplatz für uns wählen.
Hier in der absoluten Einsamkeit stellen wir unser Reisemobil auf einer sandigen, steinigen Fläche, umgeben von roten Hügeln und einigen kargen Sträuchern ab. So ungefähr könnte man sich den Mond oder vielleicht den roten Planeten Mars vorstellen, vor allem bei Sonnenuntergang, wenn die Landschaft in kräftiges Orange und Pink getaucht wird. Endlich wieder einmal wild und frei stehen. Wir atmen tief ein und geniessen die absolute Stille um uns herum. Nachts ist es hier so dunkel, dass wir Tausende von leuchtenden Sternen über uns und um uns herum sehen, gekrönt von der orangeroten, tiefstehenden Sichel eines zunehmenden Mondes. Beim Betrachten dieses unglaublichen Himmelszelts fällt mir wieder kurz der kleine Prinz ein, der irgendwo da oben auf einem der vielen Sterne seine geliebte Rose gegen den Wind schützt, und gegen die schnellwachsenden Baobabs kämpft.
Wir haben phantastisch geschlafen an diesem stillen Ort, wo tatsächlich das erste Mal in Marokko keine Menschen- und keine Tierseele unsere Einsamkeit durchkreuzte.
Endlich nähern wir uns der berühmten Sandwüste Erg Chebbi, deren rotgoldene, hohen Sanddünen wohl jeder schon einmal auf Fotos gesehen hat. Viele Marokkoreisende warnten uns, die Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben, da die Gegend um Erg Chebbi sehr touristisch sei. Wie immer machen wir uns aber gern selbst ein Bild.
Schon von Weitem sieht man die hohen Sandberge hinter einer grossen, flachen Ebene schwarzer, steiniger Erde in den Himmel steigen. Die Luft flimmert und beinahe hat man den Eindruck, einer Fata Morgana aufzusitzen.
Robert biegt von der schmalen, geteerten Strasse ab auf eine Offroad Piste, die direkt auf die Sanddünen zuläuft, hie und da aber auch rechts und links abzweigt. Zuerst sind wir unsicher, ob wir hier in eines der vielen Camps fahren müssen zur Übernachtung, bis wir, weit verteilt in der Sandlandschaft, einzelne kleine Campingbusse und sogar einen grossen Dreiachser stehen sehen.
»Wenn die hier stehen, können wir das auch«, mit diesen Worten lenkt mein Mann unseren Koffer langsam immer weiter in Richtung Sanddünen.
Schliesslich stehen wir direkt davor, vor dieser atemberaubenden Wand aus goldenen Sanddünen, die sich unendlich bis an den Horizont und rechts und links von uns erheben. Mir fehlen nicht oft die Worte, aber bei diesem Anblick, war selbst ich kurz sprachlos. Überwältigt steigen wir erst einmal aus. Monet und ich düsen direkt in den weichen, warmen, feinen Sand und erklimmen die erste Düne.
Unser Hund scheint ebenso begeistert wie ich. Der Schnee Ersatz scheint zu funktionieren, auch wenn man diese Substanz besser nicht verspeisen sollte.
Unserem »Capitaine de la rue« scheint unser Standplatz noch nicht exklusiv genug, da sich von vorne soeben eine ganz Wohnmobilgruppe nähert. Er hat wohl weiter hinten in den Dünen noch eine flache Ebene erkundet, wo wir wieder einmal ganz allein mit bester Aussicht stehen können. Dorthin lenkt er unser Reisemobil nun, während Monet und ich zu Fuss über die Dünen folgen. Tatsächlich, ein Traumplätzchen. Topfeben, leicht erhöht und geschützt vor Blicken und Besuchern hinter einer Düne. Perfekt. Unser Hund und ich beobachten, wie Robert schwungvoll den vorgespurten Weg im festgefahrenen Sand hinauf düst, um ebenso schwungvoll auf der flachen Ebene zu wenden.
Doch was ist das?? Mitten im Wendemanöver mag der Koffer nicht mehr richtig vorwärts. Die Hinterräder beginnen durchzudrehen und unser LKW beginnt, hinten plötzlich einzusinken.
Oh, nein, die Ebene war doch nicht überall so fest und hart wie vermutet. Eine lose Sandwehe, und der Koffer sitzt fest. Robert versucht gar nicht erst, mit noch mehr Kraft aus dem Dilemma zu entkommen, denn das würde unser Wüstenschiff nur noch mehr hinten einbuddeln.
Er schaltet den Motor ab und steigt grinsend aus, während ich vermutlich völlig entsetzt schaue. Als ob er sehnsüchtig auf diesen Moment gewartet hätte.
»Wozu hab ich schliesslich die Sandbleche den ganzen Weg hierher mitgeschleppt?«, fragt er mich, während er bereits in der Heckgarage zugange ist. Das nächste, was ich sehe, ist ein Klappspaten, den er mir entgegenhält. »Schaufeln!«, die kurze, aber eindeutige Ansage meines Herrn und Meisters. Irgendwie hatte ich mir den heutigen »Sundowner« anders vorgestellt. Aber es hilft alles lamentieren nichts, der Koffer muss befreit werden aus dieser misslichen, sandigen Schräglage. Und zwar nicht nur hinten, denn auch vorne stecken die Reifen im Sand fest. Während ich den feinen Rieselsand zu beseitigen versuche und die Hinterräder freilegen möchte, sucht mein Mann nach grossen, flachen Steinen, die man unter die Vorderräder legen kann, denn wir haben nur zwei Sandbleche für die beiden Hinterräder dabei. »Pass aber auf, dass unter den Steinen kein Skorpion lauert!«, rufe ich ihm leicht gereizt hinterher. Denn mir macht diese Situation nicht halb so viel Spass wie ihm offensichtlich.
Schliesslich nimmt mein Mann mir lachend den Klappspaten ab und »sändelet« selbst, was das Zeug hält. Unser Hund sitzt während der ganzen Aktion mit gerunzelter Stirn auf einer Sanddüne und fragt sich vermutlich, wer hier wohl einen Knochen so tief vergraben hat, dass wir beide so vehement danach suchen.
Nach ca. einer Stunde schaufeln, Steine schleppen und schwitzen in der Nachmittagssonne probieren wir gespannt unser Glück und die Funktionalität unserer Sandbleche, die wir in die freigeschaufelten Kuhlen unter die Hinterräder geklemmt haben. Robert haut erneut alle vorhandenen Sperren unseres 4 x 4 LKW’s rein und gibt langsam Gas bis er merkt, dass die Räder greifen, während ich mit gedrückten Daumen und völlig unentspannt daneben hoffe und bange. Puhhh, Glück gehabt, die Räder greifen, der Koffer bewegt sich schwankend und dann plötzlich flott mit einem Ruck nach vorne und fährt auf der nun wieder festen Sandunterlage geradeaus in die Freiheit. Dort lassen wir ihn nun stehen und gönnen uns erst einmal ein kühles »After Work« Sundowner Bierchen im noch warmen Wüstensand.
Die folgenden Tage verbringen wir inmitten dieser einmaligen Wüstenlandschaft. Denn auch hier kann man stundenlang mit Hund entweder die Dünen auf und ab wandern oder in der Ebene, entlang des Dünenmeers, spazieren gehen.
Unser Fazit: Wer jemals mit seinen Liebsten auf dem Gipfel einer hohen Sanddüne sass, mit den nackten Zehen im feinen, warmen Sand spielte und dabei den kitschigsten und schönsten Sonnenuntergang seines Lebens gesehen hat, der weiss, was Glück ist.
Und wer mit Reisemobil und Hund für mehrere Wochen durch das phantastische, gastfreundliche Land Marokko reist, der weiss das auch.
Unsere persönlichen Highlights in Marokko:
- Oualidia– am wilden Atlantik, wo es den frischesten Fisch und Austern gibt. (Reisebericht Marokko Teil 1)
- Cap Bedouzza– ausserhalb der Saison exklusiv & wie ein Gemälde von Dali.(Reisebericht Marokko Teil 1)
- Kaouki Beach – Sandstrände soweit das Auge reicht. (Reisebericht Marokko Teil 2)
- Imsouane – mobider Surfercharme & Hundeauslauf mit Traumaussichten. (Reisebericht Marokko Teil 2)
- Tafraoute – unsere Lieblings Berberstadt im Antiatlas. (Reisebericht Marokko Teil 2)
- Amtoudi – alte Festungsspeicher, traumhafte Oasen und wilde Schluchten. (Reisebericht Marokko Teil 2)
- Fort Bou Jerif – und die Piste dorthin.
- Ksar Tafnidilt – wegen der unwirklichen, einsamen Umgebung.
- Tata – unsere zweitliebste Berberstadt mit herrlicher Umgebung.
- Mhamid – weil alles irgendwie an den »kleinen Prinzen« erinnert und ganz schön »wüst« ist.
- Erg Chebbi – weil wir alle doch noch nicht wirklich aus dem Sandkastenalter raus sind.
Alle Abenteuer im Detail, wunderbare Begegnungen, skurrile Anekdoten, einmalige Landschaften und beeindruckende Menschen, sowie unseren ganz persönlichen»Verlags-Krimi«, der uns während unserer Marokkoreise ebenfalls begleitet hat, gibt es voraussichtlich Ende des Jahres als bewährt amüsanten Roman, in dem es wieder ganz schön »menschelt«, mit dem Titel »Ein Hund, sein Rudel und ein Expeditionsmobil.«
nurMut…Marokko bietet für jeden etwas…selbst für Hunde und Sandkastenfreunde 😉
Liebe Petra,
Wundervoll erzählt und es macht Lust auf ein Land, von dem ich dachte, dass ich mich dort nicht hin wagen würde. Ich freue mich sehr, wenn das Buch zu eurer Reise fertig ist und ich noch mal nach schmücken kann. Ihr macht nurMut alle Ehre. Nach der Überwindung, erlebt man einfach die schönsten Dinge.
Liebe Grüße und seid herzlich umarmt,
Katrin
Wundervoll erzählt,hat mir bei diesem besch… Wetter hier gute Laune gemacht.
Alles gute und weiter so.
Gruess
Ibrahim