Corona Krise auf Reisen und wie wir damit umgingen.

Wie erlebt man die Corona Krise fern der Heimat in fremden Ländern?

Oft kommt es im Leben anders, als man denkt.

Eigentlich wollten wir mit unserem Wohnmobil nach Marokko reisen. Und eigentlich für drei Monate. Aber irgendwie kam dann alles ganz anders.

Als wir Ende Januar im Appenzellerland aufbrachen, um auf dem Landweg nach Marokko zu reisen, hörte man zwar hie und da schon etwas von einem ominösen Grippevirus in China. Aber China ist weit weg, dachten wir wohl alle noch Ende Januar.

Auf der Fahrt durch Frankreich sagte mein Mann irgendwann zu mir: »Was wäre, wenn das Virus aus China die ganze Welt befallen würde?« Ich tat seinen Einwand zunächst völlig ab und sagte: »In der einsamen Wüste Marokkos könnten wir uns dann wenigstens gut verstecken.« 

War es dieses kurze Gespräch, unsere Intuition, oder höhere Fügung, die uns Anfang Februar im andalusischen Tarifa spontan veranlasste, auf die Fähre nach Afrika zu verzichten? Und stattdessen lieber das frühlingshafte Portugal zu bereisen.
Was auch immer es war, im Nachhinein sind wir sehr froh darüber. Denn auf unserer weiteren Reise durch Portugal begannen sich im März die Ereignisse plötzlich zu überschlagen. 

Und ab dann wurde selbst das südliche Europa für Reisende zur Odyssee, auf der wir ebenso wie der Held in der griechischen Sage manch interessante Beobachtung und Erfahrung machten.

Autarkes Reisen fern sozialer Ballungsräume.

Da wir mit unserem autarken Reisemobil generell Städte und touristische Orte meiden und lieber einsame Plätzchen in der Natur aufsuchen, trafen wir in Portugal nur wenige Menschen, die uns über die Entwicklung des Corona Virus hätten berichten können. Die Informationen, die wir zunächst über Zeitungen im Internet bekamen, waren anfangs auch noch so harmlos, dass wir an eine Rückkehr vor Ende April nicht dachten.

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Einsames Hideaway in Portugal.

Im Gegenteil, wir hatten das Gefühl, an einem einsamen Stausee in Portugal, wo ausser uns keine Menschenseele ist, sind wir am besten aufgehoben. Übrigens auch die erste Frage einiger Freunde nach unserer Rückkehr, wieso wir nicht dort geblieben sind. Dazu jedoch später.

So klapperten wir in Portugal einige wunderschön gelegene, einsame Stauseen ab, wo es im Februar und März in den angrenzenden Hügeln bereits wunderschön blüht, ohne zu ahnen, was uns selbst und der ganzen Welt in nächster Zeit noch blühen werde…

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Frühlingserwachen irgendwo im Nirgendwo Südportugals.

Irgendwann lasen wir dann, dass das Corona Virus wohl aus China auf umliegende Staaten übergegangen sei. Und auch unter den wenigen Reisenden, die wir hie und da einmal trafen, wurde das Virus neben Wetter und Reisegeschichten zunehmend thematisiert. Man begann langsam, sich im Gespräch räumlich voneinander zu distanzieren. Frühere Umarmungen beim Abschied, wenn einem jemand besonders sympathisch war, wurden plötzlich beiderseits peinlichst vermieden.
Manche Wohnmobilreisende begannen, sich schon ganz abzuschotten und nicht einmal mehr aus sicherer Ferne zu grüssen, so als ob bereits ein Blick schon ansteckend sein könnte. Meist diejenigen mit TV an Bord, deren Satellitenschüssel bereits ausfährt, bevor der Zündschlüssel abgezogen ist.

Von Hippies und Vorurteilen.

In dieser seltsam angespannten und unklaren Situation Anfang März, in der seriöse Online Medien zunächst noch nicht von Reisewarnungen oder Ausnahmesituationen in Europa berichteten, hatten wir eine Begegnung der besonderen Art.

Am Stausee von Poveda, wo wir einige Tage verbrachten, um unsere weitere Route in Ruhe zu planen, fuhr eines Tages ein leicht marode wirkender, zum Wohnmobil ausgebauter, ehemaliger Transporter mit qualmendem Auspuff und französischem Kennzeichen an uns vorbei. Offensichtlich auf der Suche nach einem Stellplatz.

Beim Kochen sah ich aus dem Fenster und sagte stirnrunzelnd zu Robert: »Oh je, fertig mit der Ruhe! Ein französisches »Hippie-Ranzel!«

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Rollendes Hippie-Zuhause.

Denn diese Art alter umgebauter Transporter junger, französischer Hippies kannten wir nur zu gut von früheren Reisen, vor allem aus Marokko. Normalerweise treten sie in Gruppen auf, bilden Wagenburgen, haben unerzogene, aggressive Hunde und feiern laute Parties bis in den frühen Morgen.

Mein gelassener Mann entgegnete mir nur: »Wart’s erst mal ab, ob noch mehr von denen kommen. Ausserdem hat jeder das Recht, hier frei zu stehen. So wie wir.« Grummelnd gab ich ihm recht und fühlte mich ein wenig schlecht wegen meiner Vorurteile. Dennoch äugte ich argwöhnisch aus unserem Mobil hinüber zu dem qualmenden Ungetüm, das inzwischen gewendet hatte.

Sah ich dort im Cockpit einen Kindersitz? »Kann doch gar nicht sein, bei der Gestalt, die soeben das Fahrerhaus verliess, um zu Fuss nach einem geeigneten Platz zu suchen.« Ein Mann in Shorts und T-Shirt, mit dunklem Vollbart, halb kahl rasiertem Schädel und langen, baumelnden Dreadlocks am Hinterkopf lief am Ufer entlang. Über und über tätowiert mit den wüstesten Motiven auf allen sichtbaren Hautstellen sah er tatsächlich ein wenig wild aus. 

Vermutlich hab ich derart skeptisch aus dem Fenster geblickt, dass mein Mann neugierig unsere Mobiltür öffnete und sich auf die Treppe stellte, um dem Neuankömmling »Hallo!«, zu sagen.

Ein freundliches »Bonjour!« mit einem breiten Lächeln kam zurück vom »wilden Hippie«.

Er stellte sein Reisegefährt schliesslich mit gebührendem Abstand und Rücksicht auf unsere Seesicht in unserer Nachbarschaft ab. Es folgten keine weiteren »Hippie-Mobile« mehr.

Stattdessen entstieg seinem LKW elfengleich eine zierliche junge Frau, ebenfalls mit langen, dunkelblonden Rastalocken, vielen Tattoos, Piercings und einem irgendwie stilvollen, wenn auch bunt gemixten Hippie Outfit. An der Hand einen kleinen, lächelnden Jungen, der in seiner ganz normalen Kinderkleidung und mit der Baseball Cap auf seinen feinen, blonden kurzen Härchen so gar nicht ins Bild passen wollte.

Menschliche Gesten, während Covid-19 seine Schatten vorauswirft.

Am zweiten Ankunftstag der kleinen Hippie Familie sassen wir draussen in der Sonne, als der Franzose mit seinem Motorrad vom Einkaufen im entfernten Dorf zurückkehrte und mit den Einkäufen im LKW verschwand. Nach wenigen Minuten kam er mit einem kleinen weissen Karton in der Hand zu uns herüber. »Ich hab Euch aus der Patisserie eine portugiesische Spezialität mitgebracht!« rief er uns freudestrahlend entgegen und stellte die Schachtel auf unseren Tisch. »Ein Gebäck mit Apfel und Zimt  aus einer authentischen, örtlichen Konditorei. Die müsst Ihr probieren…Bon appetit!«, damit drehte er sich wieder um und verschwand wieder in seiner Behausung. 

»Chapeau!«, dachte ich völlig baff. Damit hatte er uns wirklich überrascht und mein Weltbild mal wieder gründlich auf den Kopf gestellt. Ein wenig beschämt öffneten wir das Geschenk und freuten uns wie Kinder über diese völlig unerwartete Geste. Und das Gebäck schmeckte köstlich zu einer Tasse Kaffee.

So lernten wir Vincent aus Frankreich, Diana  aus Portugal und ihren kleinen Sohn Thorsen kennen. Eine kleine, internationale Hippie Familie. Das Eis war gebrochen und die Neugier geweckt. Ebenso wie mein ausgeprägter Kommunikationsdrang, der nicht enttäuscht wurde.

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Auch wild aussehende Hippies sind liebevolle Väter…und spannende Gesprächspartner.

Denn wir unterhielten uns sehr angeregt mit Vince, der uns morgens mit seinem kleinen Sohn Thorsen im Tragegestell und seinen beiden wohlerzogenen, friedlichen Hunden »Hippie« und »Lucha« auf unseren Gassigängen begleitete. Ganz zur Freude unseres Hundes Monet.
So viele gedankliche Gemeinsamkeiten, ähnliche Ansichten und spannende Diskussionen, obwohl wir oberflächlich betrachtet auf verschiedenen Planeten zu leben schienen.

Mit der Zeit schloss sich auch die eher zurückhaltende Diana unseren Gesprächen an, so dass wir an unserem letzten Abend beschlossen, draussen gemeinsam zu Abend zu essen. Inzwischen mit dem gebührendem Abstand, denn die Meldungen zur Corona Krise in Europa häuften sich und gingen auch an uns allen nicht spurlos vorüber. Diana tauschte sich sorgenvoll mit mir aus, ob es wohl besser wäre, in diesen Zeiten mit dem Kind in Portugal bei Ihrer Familie zu bleiben, oder doch lieber wie geplant nach Frankreich weiterzufahren, wo Vince ursprünglich herkommt.

Ich konnte ihr beim besten Willen keinen Rat geben, denn wir waren Mitte März bereits selbst am Hadern, ob wir uns irgendwo in der Einsamkeit der portugiesischen Natur verschanzen sollen, bis der Spuk vorbei sein wird. Oder schleunigst den Heimweg antreten, wie es unsere Verwandten seit einigen Tagen via SMS zu suggerieren versuchten.

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Der Himmel gibt alles an unserem letzten Portugal Abend.

Für uns stand nur fest, dass wir diesen wundervollen See am nächsten Tag sowieso verlassen würden, da unsere Vorräte langsam zur Neige gingen. Und dass unsere Reise sicherlich eher gen Norden gehen wird als in den Süden oder an die westliche Atlantikküste.

So standen wir am nächsten Morgen vor unseren neuen Hippie Bekannten, um uns zu verabschieden. Wie gern hätte ich die drei umarmt und herzlich gedrückt, aber mein Verstand entschied gegen das Herz. Während Diana und ich glasige Augen bekamen, drückte Robert den beiden je ein Schweizer Taschenmesser und zwei Tafeln Schoki als Erinnerung an diese schöne Begegnung in die Hand. Dazu sagte mein in solchen Fällen stets pragmatischer Ehemann: »Lieber jetzt nicht umarmen, dafür aber irgendwann wieder gesund und munter wiedersehen.« Damit rettete er die Situation gekonnt und sprach sehr weise Worte gelassen aus. 

E-Mail Adressen und Mobilnummern wurden noch ausgetauscht, bevor wir die winkende Aussteigerfamilie mit ihren Hunden in unserem Rückspiegel schliesslich immer kleiner werden sahen.

Die Ereignisse in Europa scheinen sich zu überschlagen.

Portugal hatte zu dieser Zeit lediglich einen bestätigten Corona Fall in der Stadt Porto, während Spanien bereits aus Madrid mehrere Fälle meldete. Deshalb beschlossen wir, Spanien so schnell wie möglich zu durchqueren. Mit einem LKW, der nicht so schnell fährt, leichter gesagt als getan bei diesem weitläufigen Land. Eine Übernachtung planten wir also wohl oder übel in Spanien ein. Und zwar am Rande eines kleines Dorfes, nördlich von Madrid.

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Spanische Dörfer wie leer gefegt.

Vom vielen Fahren recht erschöpft, kamen wir am frühen Freitagabend dort an und wollten eigentlich noch einkaufen gehen. Als wir jedoch den übervollen Parkplatz vor einem Supermarkt sahen, wo es keine Chance auf einen Parkplatz für unser Gefährt gab, drehten wir wieder ab. An diesem Abend gab es eben nur ein einfaches Risotto. Denn selbst, wenn man das Gefühl hat, es sei nichts mehr zu essen da, reicht es meist locker noch einige Tage.

Die Nachrichten aus Europa klangen von Tag zu Tag dramatischer. Die spanische Regierung kündigte bereits strenge Massnahmen zur Eindämmung der inzwischen »Pandemie« genannten Corona Krise an, als wir am Samstagmorgen sehr früh weiterfuhren, um heute unbedingt die spanisch/ französische Grenzen am Rande der westlichen Pyrenäen zu passieren. Wir hatten den Grenzübertritt bewusst auf’s Wochenende gelegt und eine schmale Grenzstrasse in den Bergen gewählt, um allfällige lange LKW Staus zu vermeiden.

»Just in time« erreichten wir ein kleines französisches Dorf, nahe der westlichen Pyrenäen am Samstagnachmittag, denn just ab diesem Tag verhängte Spanien bereits eine Ausgangssperre und Grenzschliessungen, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren, vor allem in der stark betroffenen Region Madrid.

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Die Grenzen Spaniens wurden geschlossen.

Wie froh waren wir, dass wir beim spanischen Supermarkt keinen Parkplatz gefunden hatten und nun endlich französischen Boden unter den Rädern hatten. Unser Schutzengel hatte mal wieder einen guten Job gemacht. Und nicht nur er war präsent, denn abends erhielten wir von unseren besorgten Hippie Freunden eine SMS mit der Frage, wo wir sind und ob es uns geht gehe.

Sie hatten sich aufgrund der spanischen Ausgangssperren und Grenzschliessungen entschieden, die Krise in Portugal bei Dianas Familie auszusitzen. Wir haben uns sehr gefreut über diese SMS, wie auch über die anderen E-Mails und Nachrichten von Nachbarn und Freunden, die sich in diesen unsicheren Zeiten nach unserem Wohlbefinden erkundigten.
Und wir machten uns Gedanken über all die »Low-Budget-Welt-Reisenden«, die zu Fuss oder mit dem Fahrrad und nur mit einem Zelt zum Übernachten unterwegs sind, von denen wir anfangs im andalusischen Tarifa einige kennenlernten. Wo konnten sie wohl hin in dieser Situation?

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Wo mögen die beiden freundlichen Weltenbummler mit ihren Hunden wohl unterkommen?

Von fröhlichen Wahlveranstaltungen direkt in den Krieg.

In Frankreich schien die Lage noch etwas entspannter zu sein, denn für den nächsten Tag waren im ganzen Land Kommunalwahlen angekündigt. So sahen wir am frühen Sonntagmorgen beim Gassi gehen mit Herrn Monet wahre Heerscharen von Franzosen zum Dorfplatz eilen, wo sie in fröhlich plaudernden Gruppen vor dem Gemeindehaus standen und den sonnig warmen Tag genossen, bevor sie das Wahllokal betraten. Ohne Eile, ohne Sicherheitsabstände oder besondere Massnahmen. So als gälte die ganze Aufregung nicht für »La Grande Nation«.

Auch an unserem nächsten Übernachtungsplatz, einem kleinen Weiler inmitten der französischen Pyrenäen, strömten noch am späten Nachmittag erstaunlich viele Bürger aus den umliegenden Höfen mit ihren Autos zum Wahllokal, das in Sichtweite zu unserem Parkplatz lag. Auch hier ohne Abstand in grösseren Gruppen angeregt miteinander plaudernd und scherzend. Als ob es nie Berichte über eine Pandemie gegeben hätte. Und tatsächlich hatte Frankreich, wie die meisten anderen europäischen Staaten auch, wohl noch keine Notwendigkeit für deutliche Anweisungen an die Bevölkerung gesehen. 

Verwundert beobachteten wir das bunte Treiben aus gebührender Entfernung und gingen mit unserem Hund, fern jeglicher Menschenansammlungen, im Wald spazieren. Unverständnis machte sich in unseren Köpfen breit, denn die Nachrichten und steigenden Fallzahlen aus Italien, Spanien und der Schweiz signalisierten uns etwas ganz anderes als das, was wir in Frankreich sahen. 

Doch auch hier änderte sich zwei Tage später alles schlagartig. Als nämlich Präsident Macron in einer medienwirksamen Rede plötzlich von »Krieg« sprach, alle Strände sperren liess und dem ganzen Land eine sofortige Ausgangssperre verpasste.

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Limitierte Kontakte werden auf französischen Autobahnen empfohlen.

Offensichtlich hatte die Mehrheit der Franzosen erst auf solch drastische Worte ihres obersten Chefs gewartet, denn dieses populistische Medienspektakel mit seiner völlig deplatzierten Wortwahl sicherte ihm mehr Sympathien und möglicherweise künftige Wählerstimmen als seine ganze bisherige Politik.
Erschreckend fanden wir, dass Menschen offensichtlich immer erst harte Worte, Anweisungen und Strafandrohungen brauchen, anstatt selbst vernünftige Schlüsse aus dem Geschehen zu ziehen und ihr Verhalten anzupassen. Das Positive und gleichzeitig Gespenstische daran: am nächsten Morgen waren die Strassen wie leergefegt und die Strände auch.

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Einsame Strände können manchmal auch unheimlich sein.

Vom Heimweh und der Angst vor fehlendem WC Papier.

Ich hatte plötzlich Heimweh. Nach unserem sicheren Zuhause, der gewohnten Umgebung, den Freunden und unserem »persönlichen Heidiland«. Heimat bekommt in solchen extremen, vermeintlich unkontrollierbaren Situationen eine ganz neue Bedeutung und einen sehr hohen Stellenwert. Obwohl ich ja wusste, dass auch die Schweiz inzwischen zunehmend stärker betroffen war.

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Liess sich das Tourismus Team Gais wohl an dieser französischen Raststätte  inspirieren für seine Laura?.

Während die Nachrichten immer drastischer wurden, las man förmlich die Hilflosigkeit und beginnende Panik der Menschen und Regierungen Europas heraus, so dass wir uns zunehmend unwohler fühlten im fremden Land und uns folgende Fragen stellten:

»Was wäre, wenn wir auf Reisen irgendein Problem mit dem Fahrzeug oder gesundheitlicher Art hätten, während das ganze Land im Ausnahmezustand ist?«

»Wohin mit unserem Hund, wenn auch wir in Frankreich zum Arzt oder ins Spital müssten?« »Womöglich ins Tierheim?«

Langsam aber sicher wurden auch wir in Gedanken von düsteren Szenarien und Dystopien heimgesucht, die unsere sonst stets positive, konstruktive Denkweise torpedierten.

Bis Gais waren es immer noch über 1’000 km. Mit dem LKW mindestens drei Tage, wenn man nichts riskieren wollte. Ich war inzwischen so nervös, dass Robert mich nicht mehr fahren liess, sondern die Strecke allein bewältigen wollte.

Also mussten wir wohl oder übel doch noch einen überfüllten französischen Supermarkt aufsuchen und einige frische Lebensmittel für die nächsten Tage einkaufen. An den Tagen zuvor hatten wir bereits in jeder Apotheke oder Drogerie, die wir am Weg fanden, nach Desinfektionsmittel, Hygienehandschuhen und Mundschutz gefragt. Überall Fehlanzeige, weil ausverkauft.

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Melancholische Stimmung a là »Edward Hopper« am frühen Morgen vor einem Supermarkt.

In diesem Zusammenhang wunderten wir uns übrigens sehr über die Meldungen aus der Heimat, dass WC Papier inzwischen  komplett ausverkauft, Grundnahrungsmittel jedoch kein Problem seien. Hhhhm…und ich dachte immer, bevor es WC Papier braucht, muss erst einmal ein Stoffwechsel mit Nahrungsmitteln stattfinden…seltsam, zu welchen Übersprungs- und Panikhandlungen Menschen in Extremsituationen greifen.

Besondere Situation erfordern kreative Massnahmen.

Für unseren letzten Ausflug in die übervolle französische Zivilisation mussten wir für unseren Teil nun jedenfalls kreativ und pragmatisch agieren.
So funktionierten wir kurzerhand die Kunststoffhandschuhe, die es an Tankstellen gibt, um. Und unsere »Buff Multifunktionstücher«, die wir normalerweise beim Wandern nutzen, wurden als Mundschutz über Mund und Nase gestülpt. Damit sahen wir zwar aus wie auf dem Weg zu einem Banküberfall, stellten aber im Innern des Supermarkts schnell fest, dass wir nicht allein waren mit unserem ungewöhnlichen Outfit.

In Windeseile arbeiteten wir unsere zuvor erstellte Einkaufsliste ab. Entgegen meiner sonstigen Genusseinkäufe in französischen Lebensmittelabteilungen preschte auch ich diesmal ungewohnt zügig zwischen den Regalen hin und her.
Als ich vor einem Kühlregal nach Butter Ausschau hielt und einer französischen Dame mit kreativem Schal-Mundschutz den Vortritt liess, kreuzte sich kurz unser Blick, der als einziger noch frei war unter der Maskerade. Und da mussten wir beide so lachen. Natürlich in gebührendem Abstand.
Es war dieses gemeinsame kurze Lachen, das der skurrilen Situation für einen Augenblick den Schrecken nahm. Ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, des »Wir-sitzen-alle-in-einem-Boot«, das in diesen Zeiten tröstend wie eine warme Wolldecke wirkt. Und zwar über Grenzen und soziale Verbindungen hinaus.

An den langen Kassenschlangen waren wir sehr überrascht von der Disziplin und Geduld der Franzosen, die stoisch mit grossem Abstand zueinander und zu den Kassiererinnen warteten, die alle mit Mundschutz und Handschuhen ausgerüstet waren. Kein Drängeln, kein Nörgeln und kein Stress beim Einpacken. Entschleunigung »par ordre du mufti«.
Da werden millionenfach Lebenshilfe Bücher oder Kurse zu diesem Thema verkauft, und ein kleiner, fieser Virus schafft mit einem Mal das scheinbar Unmögliche: die Menschen haben wieder Zeit und Respekt voreinander.

Sind Schweizer Zöllner von Natur aus immun?

Mit unseren Vorräten und mit frisch gewaschenen Händen nach dem Zivilisationsausflug steuerten wir endlich die Heimat an, nachdem wir noch zwei einsame Übernachtungen in der französischen Pampa eingelegt hatten. Für den Grenzübertritt von Frankreich in die Schweiz wählten wir keinen grossen Grenzübergang wie z.B. Genf, sondern rollten im Jura auf heimatlichen Boden, um auch hier langen LKW Staus zu entgehen.

Unsere Freude wurde jedoch jäh gedämpft. Denn die Schweizer Zöllnerin, ohne Mundschutz und Handschuhe dicht in einem sechsköpfigen Pulk von Zollbeamten stehend, schnauzte meinen Mann in flapsigem Französisch an, er solle gefälligst die Fahrzeugscheibe ganz hinunter kurbeln. Was er aus Rücksicht auf den einzuhaltenden Abstand zunächst nur halb getan hatte. Nachdem die Scheibe also ganz herunter war, und die Dame unsere Pässe eingehend kontrolliert hatte, fragte sie mit strengem, bösem Blick, wohin wir denn wollten. »Wonach sieht es denn aus…?«, hätte ich sie am liebsten gefragt, »…nach einer Shopping Tour ins Tessin?«

Aber da wir ja nichts sehnlicher wünschten, als schnellstmöglich ins »gelobte Land« eingelassen zu werden, verkniffen wir uns jegliche Ironie und sagten brav: »à la maison«. Mit einem missbilligenden Blick, als ob wir Schwerverbrecher wären, gewährte sie uns Einlass, und wir atmeten am 20. März endlich erleichtert die gute Schweizer Juraluft ein.

»Schweizer Zöllner sind vermutlich gegen das Virus von Natur aus immun«, grummelte mein genervter Chauffeur, als wir endlich weiterfuhren, »und so unfreundlich sind wir in den letzten zwei Monaten nirgends behandelt worden.« 

»Sind halt alle grad ein wenig nervös.«, versuchte ich zu schlichten.

Dennoch wunderten wir uns sehr, wie wenig geschützt und vermeintlich sorglos die französischen und Schweizer Zöllner am Grenzübergang gestanden hatten, obwohl die Pandemie Meldungen aus Europa inzwischen sehr dramatisch klangen.
»Ob es in Italien zu Beginn der Pandemie auch so gewesen sein mochte?«, fragten wir uns. »Sind die Menschen denn tatsächlich so wenig lernfähig?« Oder welche Mechanismen setzen ein, wenn manch Einer denkt, das trifft nur die anderen, aber mich in keinem Falle?

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Auch auf Schweizer Autobahnen wird vor Grenzschliessungen in die EU gewarnt.

Was macht man richtig im heimatlichen, sozialen Umfeld?

Verwundert und höchst gespannt, wie es wohl zuhause in unserem idyllischen Appenzeller Dorf zu- und hergehen wird, kamen wir heil und gesund wieder daheim an.
Wie immer nach langen Fahrten, ging ich zuallererst mit Herrn Monet Gassi. Bei diesem ersten, halbstündigen Gassigang traf ich beinahe wieder mehr Menschen als in den ganzen beiden Wochen zuvor auf Reisen. Obwohl ich mich wirklich sehr freute, bekannte, vertraute Gesichter und lieb gewonnene Menschen wiederzusehen, die sich ihrerseits auch zu freuen schienen, fragte ich mich innerlich ganz kurz, ob die einsamen Pyrenäen rein ansteckungstechnisch nicht doch die bessere Wahl gewesen wären. Denn einige unserer Bekannten, rückten im Gespräch, sicherlich ganz unbewusst, verdächtig nah. Und als ich, geprägt von unserer Reise durch die verschiedenen Länder selbst ein wenig abrückte, sagten sie: »Ach, komm! In unserem idyllischen Gais doch nicht, hier ist die Welt doch noch in Ordnung!«

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Unser Gaiser »Heidiland«, wo die Luft noch rein zu sein scheint.

Dass die Welt in Gais noch viel mehr in Ordnung ist als andernorts auf unserem Erdball, das mag wohl so sein. Aber der kleine, fiese Virus unterscheidet leider gar nicht zwischen netten, entspannten und sympathischen Menschen in idyllischen Voralpengemeinden oder gestressten Städtern in Millionenmetropolen.

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Vorort der Millionenstadt Valencia in Spanien.

Auch wenn wir im Appenzellerland nicht so dicht aufeinander hocken, wie die Grossstädter in den Hochhäusern, sollten wir den Risikogruppen zuliebe lieber einmal zu viel Abstand halten, um die brisante Verbreitung aufzuhalten und damit Leben zu retten.

Wofür ich jedoch in diesen Zeiten der Verunsicherung, grosser Ängste und unfreiwilliger Vereinsamung unbedingt auch plädieren möchte, sind die kleinen, zwischenmenschlichen Gesten, die trotz Abstand möglich und gerade jetzt so wichtig sind. Ein Lächeln oder Winken im Vorbeigehen und ein paar zuversichtliche, freundliche Worte über den Gartenzaun. Ein Anruf, wie es den anderen geht und ob man helfen kann. Eine aufmunternde E-Mail oder vielleicht sogar wieder einmal ein handgeschriebener Brief, im Vorbeigehen in den Briefkasten geworfen, um zu signalisieren: »Du bist nicht allein.«… 

Und allen unterwegs, die nicht so viel Glück hatten wie wir, und jetzt irgendwo auf der Welt »gestrandet« sind, wünsche ich viel Mut, Geduld, Energie und die Möglichkeit, so bald wie möglich heil und gesund in ihre Heimat zurückzukehren. 
Allen, die leider bereits erkrankt sind, wünsche ich baldige Genesung und alles Gute.

nurMut…jeder kann in dieser schwierigen Zeit seinen kleinen, persönlichen Beitrag dazu leisten, diese Krise erträglicher zu machen und hoffentlich gesund zu meistern.

»Hebet Sorg!«

 

6 Kommentare zu Corona Krise auf Reisen und wie wir damit umgingen.

  1. Liebe Petra,
    ein sehr eindrücklicher Erlebnisbericht. Das zeigt mal wieder, dass Reisen immer auch ein Abenteuer ist 😉
    Schön, dass ihr gesund wieder zuhause in „Heidiland“ angekommen seid.
    Auch wir sind notgedrungen im sicheren „Heimathafen“ geblieben und versuchen, hier das beste aus der Situation zu machen.
    In diesem Sinne – bleibt gesund und herzliche Grüße!

  2. Paula und Reinhard // 30/03/2020 um 15:53 // Antworten

    Servus an Euch drei,

    glücklicherweise alles gut gegangen und heil zurück, ohne etwas unerwünschtes mitgebracht zu haben. Einfühlsamer Bericht über Eure Heimreise und surreale Bilder, wie doch in kürzester Zeit sich die Motive ändern können. Euch eine erholsame Zeit in der Heimat und genießt den ankommenden Frühling in den Bergen.
    Liebe Grüße
    Paula und Reinhard

  3. Gisela Brandt // 30/03/2020 um 15:49 // Antworten

    Hallo ihr drei Lieben , Petra, Robert und Monet !!
    Was bin ich froh, dass ihr Wohlbehalten wieder zu Hause seid!!
    Und erleichtert …
    Ganz liebe Grüsse von Gisela

    • Liebe Gisela, vielen herzlichen Dank!Schön, von Dir zu lesen. Habe vorhin grad Post an Dich verschickt…alles Liebe und bleib gesund!

  4. ralf-peter gawin // 29/03/2020 um 19:33 // Antworten

    Home sweet home !

    Rollend in Koffer oder daheim im festen Haus.

    Kommt gut an und bleibt gesund !

    Ralf-Peter

  5. Hallo,
    mitreißend u. gefühlvoll geschrieben..
    Aus irgendeinem nicht genau zu beschreibenden Grund sind wir über den Winter zu Hause geblieben..Renate wollte u.a. nochmal Weihnachtsmärkte fühlen u. wir waren nach Sexten in Südtirol eingeladen.. sind dort allerdings noch vor den Problemen geplant zurück nach Hause…irgendwie hatten wir auch einen Schutzengel…u. sind jetzt auch froh in der „Heimat“ abwarten zu können !
    Alles Gute u. bleibt gesund👍

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